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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 16.1905

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Frank, W.: Architektonische Schmuckformen von Friedrich Adler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8553#0045
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W: Frank—München :

FRIEDRICH ADLER—MÜNCHEN.

Fenster einer Steinfassade.

ohne von dem dazugehörigen Körper eine
genaue Vorstellung zu haben. Auch das
Haus ist ein organisches Gebilde, ein
steinernes Raumtier, wenn ich so sagen
darf, dessen Teile unauflöslich zusammen-
hängen, dessen Äusseres dem Innern gegen-
über nur eine semiotische Bedeutung hat.

Inzwischen dürften die beigegebenen Pro-
ben wohl genügen, um von dem grossen
Gesichtspunkte, unter dem Adler die Auf-
gaben einer modernen Architektur anschaut,
gültiges Zeugnis abzulegen. Es sind die
Gedanken Ruskins, des grossherzigen Briten,
Gedanken voll idealistischen Schwunges, die
in unserem papierenen, tintenklexenden Sä-
kulum wohl theoretischen, aber wenig prak-
tischen Anklang gefunden haben. Wer zuerst
die Behauptung aufstellte, dass die Baukunst
lediglich das Raumbedürfnis zu befriedigen
habe, der war vielleicht ein tüchtiger Tech-
niker und, was vieles aufwiegt, ein ehrlicher

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Mann. Aber er war kein Künstler.
Er war ein Pfadfinder auf dem
Wege zur Wahrheit, aber kein
Erfüller und Schöpfer endgültiger
Werte. AdlersEntwürfebeweisen,
dass er, ähnlich wie Ruskin, vom
Baukünstler neben der Befrie-
digung des Raum - Bedürfnisses
auch einen Ausdruck der Bau-
gesinnung, ein reiches Dokument
der jeweiligen Kultur, eine stei-
nerne Paraphrase des Geistes-
lebens unserer Zeit verlangt.
Aber er baut bei diesem starken,
stilistischen Streben auf der an-
spruchslosen Arbeit der »Puristen«,
der löblichen Wahrheitsfanatiker
auf. Man untersuche seine Ent-
würfe Glied für Glied: nirgends
wird man nichtsnutzige Schma-
rotzer, Konstruktionslügen oder
aufgeklebte Dekoration in ihnen
antreffen. Klar tritt bei seinen
Fenstern und Portalen die Haupt-
form hervor, und erst, wenn sie
ganz unzweifelhaft festgestellt ist,
taucht an exponierten und weniger
dienstbaren Stellen das plastische
Leben auf. An den Bekrönungen
und freien Endigungen entsteht ein spiele-
rischer Ringkampf von Kräften, ein Stemmen,
Heben, Wachsen, Ziehen und Verschlingen,
das sich an organische Formen anlehnt, ohne
sie je völlig zu kopieren.

Für Adler gibt es keine hingesagte, ober-
flächlich erzählte Dekoration; er kennt nur
Kräfte und Gegenkräfte und gestaltet eigent-
lich immer kleine Dramen mit Exposition,
retardierendem Moment, Katastrophe und
Auflösung. Auch der rein konstruktive Auf-
bau der Fenster- und Türumrahmung wird
bei Adler von energischen, sprechenden
Linien klar charakterisiert. Und es bedürfte
eines grossen Aufwandes an Worten, wollte
man alle diese Feinheiten, die in jedes
kleinste Teilchen hineingearbeitet sind, nach
Gebühr hervorheben. Schon in dem Fugen-
verlauf der Quader, in ihrer Form und Zu-
sammensetzung tritt dieses Streben nach
starker Charakteristik klar hervor. Bei dem
 
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