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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 16.1905

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Carstanjen, Friedrich: Kunstgewerbliche Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8553#0094

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Dr. Fr. Carstanjcn: Erziehung.

Architekt Otlo Schnartz—München.

Entwurf zu einer Geschäfts- und Wohnhäuser-Gruppe.

Kunstgewerbliche Erziehung.

Der vor kurzem veröffentlichte Erlass des
Handelsministers, durch den die werkstätt-
liche Erziehung der Handwerker und Kunst-
handwerker für die preussischen Fachschulen
eingeführt wurde, bedeutet eine so wesentliche
Förderung des gewerblichen Erziehungswesens,
dass er nur mit grosser Freude begrüsst werden
kann. — Die Bedeutung des Erlasses, der als
erste Frucht der Berufung des Regierungs-
rates Herrn. Afuthesius in das Ministerium an-
gesehen werden darf, beruht nicht nur auf der
Schliessung einer empfindlichen Lücke im Unter-
richtsplan der Fachschulen, sondern auch in der
Hebung der Handwerkskunst, in dem Moment,
wo unsere steigende Lebenshaltung und Kultur
die Nachfrage nach handwerklichen Kunst-Er-
zeugnissen zu steigern im Begriffe ist. — Der
Erlass betont als wesentlichstes Moment:

»Der Unterricht in Lehrwerkstätten wird das
Mittel an die Hand geben, dem Schüler die
notwendigen Beziehungen zwischen Werkstoff
und Form nachdrücklich zum Bewusstsein zu
bringen und ihn dazu erziehen, seinen Entwurf
sachlicher, wirtschaftlicher und zweckmäßiger
zu entwickeln. Durch die Beschäftigung mit
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dem Material wird ferner im Schüler die auf
Abwege führende Vorstellung beseitigt werden,
als ob die Herstellung äusserlich gefälliger Zeich-
nungen ein erstrebenswertes Ziel wäre, ohne
Rücksicht darauf, ob sie dem Material und seiner
Eigenart gehörig Rechnung tragen. Auch rein
künstlerisch wird die Werkstätte nur wert-
volle Anregungen vermitteln können, die sich
statt auf äusserlich übermittelte Formen, auf
die durch eigene Tätigkeit gewonnene Einsicht
in die Gestaltungs-Möglichkeiten des Materials
gründen. — Die Angliederung von Werkstatt-
Unterricht wird endlich dazu beitragen, die
bisher öfter gerügte einseitige Ausbildung von
Kunstgewerbe-Zeichnern, welche das Material
nicht kennen und der handwerksmäßigen Tätig-
keit entfremdet sind, einzuschränken und auf
diesem Wege auch auf Förderung des Hand-
werks hinwirken.«

Unzweifelhaft wird durch den Werkstatts-
Unterricht die rein zeichnerische Ausbildung
in wohltätiger Weise zu Gunsten der Ausbil-
dung materialgemäßer Werkformen eingeschränkt
werden. — Wird auf diese Weise Fürsorge für
die Handwerkskunst getroffen, so werden zu-
gleich Gedanken rege, in wie weit hierdurch die
seit den Ausstellungen des Jahres 1897 zu Tage

getretene Tendenz: die Kunst Allgemeingut
weitester Kreise werden zu lassen, neue Nahrung
gewinnen werde. Handwerkliche Vollendung
wird zwar das Niveau unseres Kunstgewerbes
heben, aber im wesentlichen solchen Stücken
zugute kommen, die durch ihren relativ hohen
Preis dem Besitz der begüterten Klassen vor-
behalten sind. Dagegen wird nur die Gross-
fabrikation mit Maschinenbetrieb, wenigstens
in einer grossen Anzahl von Industriezweigen,
das Verlangen nach einer bürgerlichen Kunst
erfüllen können, und auch diese bedarf der
kunstgewerblichen Erziehung, um die nahe-
hegende Gefahr abzuwenden, dass die speku-
lative Industrie eine gedankenlose Mode mit
schlechtester Bazarware »creirt«, die direkt
kulturfeindlich wirkt.

Wird nun zwar durch den Werkstätten-
Unterricht auch der Kunst-Industrie genützt, so
ist doch damit noch nicht alles getan. So sicht-
bar auch der Einfluss der Museen und der
Kunstgewerbeschulen auf die Entwicklung des
Gewerbes und der Industrie ist, so ist doch
unverkennbar, dass gegenüber dem bereits
vorhandenen Fortschritt in der Kunstauffassung
unserer Zeit die bestehenden Einrichtungen nicht
mehr ausreichen, und dass daher eine anders

geartete Institution erzieherisch und fördernd
eingreifen muss.

Die Kunstgewerbe-Schulen sind hierzu nicht
ausreichend; sie nehmen Gehilfen des Hand-
werkerberufes auf: Schreiner, Schlosser, Tape-
zierer, Dekorationsmaler, Ziseleure etc. zumeist
mit Volksschulbildung, die nach zwei- bis drei-
jährigem Besuch befähigt werden sollen, ihren
Beruf als Werkführer oder selbständige Meister
auszuüben. Die Anforderungen an die Vorbil-
dung der Zöglinge sind also gering; die Aus-
bildung geschieht in historischer Richtung, sodass
fast nur die kompilatorischen Fähigkeiten der
Zöglinge verstärkt, nicht aber der Trieb, künst-
lerisch neu zu schaffen, geweckt und gefördert
wird. Vor allem aber fehlt es den Zöglingen
nach Verlassen der Schule an einer Stätte für
die notwendige Erziehung zur Hauptsache: zur
künstlerischen Selbständigkeit. Die Kunst-
gewerbeschulen setzen also auf einem zu niedrigen
geistigen Niveau an und liefern nach Beendigung
der Lehrzeit nur im aller seltensten Fall Leute,
die berufen wären, mit sicherem Geschmack
und weitausschauendem Blick einer grösseren
Fabrikations-Organisation vorzustehen.

Dem gegenüber war bereits die Anregung
bedeutsam, die das Bayerische Gewerbemuseum

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