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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 16.1905

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Osborn, Max: Edward Gordon Craig - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8553#0204
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EDWARD GORDON CRAIG-BERLIN.

MALER EDWARD GORDON CRAIG.

Es ist noch nicht lange her, dass die
Kunstbewegung der Gegenwart auch
das Theater ergriffen hat. Die Bühne hatte
in den letzten Jahrzehnten den künstlerischen
Geist der Zeit durch die Vermittelung des
Dramas getreulich abgespiegelt. In der
Herrschafts-Periode des historischen Inter-
esses waren die Meininger aufgetreten und
hatten Bühnenbilder geschaffen, die mit den
Gemälden Gallaits, Biefves, Pilotys unmittel-
bar konkurrierten. Als dann der Geschmack
sich wandelte und die lang zurückgedrängte
Lust an Gegenwart und Wirklichkeit sich
im Naturalismus austobte, übertrug man das
Prinzip der Echtheit von der Ausstattung
der Geschichts - Dramen auf die modernen
Stücke, und die Interieurs etwa, die der Zu-
schauer in Hauptmanns »Webern« sah, waren
vom Dekorationsmaler und Regisseur in
der Erinnerung an Arbeiten von Israels oder
Liebermann hergestellt. In dem Augenblick
jedoch, da eine neue Sehnsucht nach ge-
hobenem, der Wirklichkeit des Lebens ab-
1905. x. 1.

gewandtem Stil in der Poesie sich geltend
machte und ein freies Wiederanknüpfen an
die Tradition die Aufmerksamkeit auf den
unausgeschöpften Reichtum des klassischen
Dramas zurücklenkte, war mit dem Realis-
mus der Bühnen-Ausstattung immer weniger
anzufangen. Und auch hier kam die bildende
Kunst zu Hilfe. Denn parallel mit der lite-
rarischen war von vornherein eine malerische
Bewegung gegangen, in der das Streben
zum Dekorativen mit jener Stilsehnsucht der
Dichter korrespondierte.

Im Berliner Theaterleben, das auch nach
aussen vielfach anregend gewirkt hat, sind diese
drei Abschnitte durch die Namen LArronge,
Brahm und Reinhardt gekennzeichnet. Auf
den Reinhardtschen Bühnen — dem »Klei-
nen Theater« und dem »Neuen Theater«
— hatte man zuerst den Mut, die Erschei-
nungen der allerjüngsten dramatischen Lite-
ratur heranzubilden und zugleich die Schätze
des älteren Repertoires in frischem und neuem
Geiste wieder hervorzuholen. Hier ward
dadurch auch zuerst in Deutschland das Be-
dürfnis nach neuen Prinzipien der Insze-
nierung empfunden und mit Hilfe hervor-
ragender Künstler gedeckt. Max Kruse,
Louis Corinth, Max Slevogt und Karl Walser
haben für die Reinhardtschen Bühnen in
den jüngsten zwei Jahren Ausstattungen
geschaffen, für die es bis dahin kaum Vor-
bilder gab. Sie verzichteten auf die realistische
Treue, und setzten an ihre Stelle die Illusion und
die Anregung der Phantasie. Sie betrach-
teten die Szene vollkommen als ein grosses
dekoratives Gemälde, dessen Wirkung eine
geschlossene, auf allen Kleinkram verzich-
tende Einfachheit und Einheit zur Voraus-
setzung hat und grosse Linien, weite Flächen,
starke Licht- und Farbenkontraste erfordert.

Schon bevor diese deutschen Künstler
hervortraten, hatte man in England mit ähn-
lichen Versuchen begonnen. Und dort, in
London, war es ein junger Künstler: Edward
Gordon Craig, der die neuen Ideen in das
Theater einführte. Craig, der gegen Ende
des vergangenen Jahres nach Berlin ge-

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