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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 18.1906

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Michel, Wilhelm: Ein moderner Kunstsalon in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.8554#0143
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Ein moderner Kunstsalon in München.

JULIUS DIEZ—MÜNCHEN.

Gemälde »Hubertus«.

er arbeitet, nachhaltiger und kräftiger an-
zieht, als der Kompromissler, der daran ver-
zweifelt, sich sein Publikum erst zu schaffen.
Als Kunsthändler wird man gerade aus
Geschäftsgründen Idealist sein müssen,
wenigstens sein können.

Diese Tatsache also, dass die zehn Räume
der Bracklschen Kunsthandlung nicht ein
einziges Werk enthalten, welches nicht in
erster Linie künstlerisch zu werten ist, macht
diesen Salon vorläufig noch zu einer ex-
zeptionellen Erscheinung. Aber es ist nicht
zu bezweifeln, dass dieses Beispiel Nach-
ahmung finden wird, nicht weil es schön,
gut und ideal ist, sondern wegen seiner ge-
schäftlichen Vorteile, die nicht lange auf sich
werden warten lassen.

Noch eine andere Neuerung ist es, die
den Bracklschen Kunstsalon trotz der kurzen
Zeit seines Bestehens in Ruf gebracht hat.
Sie besteht darin, dass die oberen Räume
der Ausstellung die Kunstwerke in Ver-
bindung mit kompletten Wohnungs - Ein-
richtungen zeigen. Während in der richtigen
»Galerie« das Gemälde nur auf seinen Kunst-
wert geprüft werden kann, gewinnt es hier
auch eine dekorative, raumschmückende Be-
deutung. Die abstrakte Wandfläche der

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Galerie erscheint hier zur konkreten Wand-
fläche des Zimmers umgewandelt. Sie stellt
dem Bilde in seiner Gesamterscheinung eine
Fülle bestimmter Aufgaben und zeigt es
daher von einer ganzen Reihe von Seiten,
denen die Galerie nicht die mindeste Be-
achtung schenken kann. Als Gesamt-
erscheinung ist das Gemälde in der Galerie
nur ein passiver Raumverdränger; hier jedoch
wird es aktiv, seine Raumverdrängung ge-
winnt einen positiven Wert. Es tritt zu
Form und Anordnung der Möbel, vor allem
auch zu ihrer Farbe, in eine bestimmte Be-
ziehung und kämpft in ganz anderer, feinerer
Weise um seine Existenz als in der Galerie,
wo es nur gegen seinesgleichen einen un-
natürlichen Streit zu bestehen hat. Wer
einmal erprobt hat, welche Zauberei mit
einem Gemälde vorgeht, wenn es aus dem
Bildermagazin in einen bewohnten Raum
verpflanzt wird, der wird diese Einrichtung
des Bracklschen Kunstsalons zu schätzen
wissen. Im höchsten Maße kommt sie natür-
lich dem Käufer zu statten, der die dekorative
Energie des Kauf Objektes hier an einem
praktischen, durch Analogie leicht verwert-
baren Beispiel erproben kann.

Professor Emanuel Seidl, der Erbauer
 
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