Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

DOI Artikel:
Rambosson, Ivanhoe: Eugène Carrière - Paris
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0021

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ivanhod Rambosson :

eugene carr1eke —paris f-

portrat: „alphonse daudf.t mit seinem töcp

teristische. Nach dem geistigen Ausdruck, der
ihn vor allem beschäftigt, ist es die Verteilung des
Lichts, der logische Bau des Skeletts, die Massen-
anordnung und die plastische Form. Darum ge-
mahnt auch seine Malerei von allen bekannten
am stärksten an die Skulptur. Carriere baute ein
Gesicht, wie man eine Gleichung ansetzt, und
wollte, daß man's darin empfinde wie ein Echo
des Weltrhythmus.

Er ist einer von denen, deren Werk den Un-
wert der kleinlichen Bemühungen beweist, in
denen sich die Anhänger der genauen Natur-
abschrift erschöpfen. Die farbige Photographie wird
uns eines Tages eine Augentäuschung liefern, die
keine noch so starrköpfige Geduld erreichen kann,
und nie wird etwas nicht dem Leben, aber der
exakten Körperlichkeit näher kommen als ein
Abguß. Indessen einem mechanischen Verfahren
wird es für immer versagt bleiben, eins von den
Werken zu erzeugen, deren wesentliche Grund-
lagen die Empfindungskraft und der Geist ihrer
Schöpfer bilden.

Es steht uns nicht an, die Natur sklavisch
nachzuahmen. Wir müssen in ihr die Elemente
auswählen, die etwas für unsere Empfindung be-
deuten, und versuchen, sie durch diese Empfindung
zu bereichern. Erst unbewußt, dann bewußt, geht
da eine Umformungsarbeit vor sich, auf deren

Erfüllung sich beinahe die Rolle des Künstlers
beschränkt. Man verstehe mich: Ich werfe mich
nicht zum Verteidiger jener Leute auf, die Theo-
rien von der Umgestaltung aufstellten und keine
Zeichnung, keinen Aufbau gelten lassen vor einer
unwissenden Phantasie. Ich bemerke einfach, daß,
wenn man das Gewicht einzelner Züge steigert
oder abschwächt, man allemal eine Umgestaltung
vollzieht. Und das ist zulässig, so lange man die
Grundgesetze des Körperbaus und der Muskellehre
beachtet. So hat Carriere umgeformt, so tat es
auch Michel-Angelo.

„Jeder Künstler," bemerkt ganz richtig Jean
Dolent, „er mag wollen oder nicht, deutet die
Natur, und das ist gut. Was nicht gut ist, ist die
Vorausnahme der Deutung." Die Wahrhaftigkeit
schließt übrigens jede vorausgefaßte Erklärung aus,
denn die Bewußtseinselemente werden sich bei
der ästhetischen Auffassung ganz von selber nach
ihren eigenen Gesetzen ordnen. Der Künstler
braucht seinerseits nur abwägen, was ich die
„Werte des Gedankens" nennen möchte. In der
Tat sind in einer malerischen Komposition nicht
bloß die Farbenwerte unentbehrlich. Auch die
moralischen Werte sind von Belang. Gleich-
gültige Einzelheiten sollen in einem neutralen
Grunde bleiben und es wäre unlogisch, die Werte
der Perspektive und des Lichts zu beachten und
 
Annotationen