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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

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Rambosson, Ivanhoe: Eugène Carrière - Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0022

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Eugene Carriere—Paris.

nicht zu berücksichtigen die der Empfindung, nicht
die Abstufungen unserer inneren Anteilnahme.

Überlegungen dieser Art hatten Carriere zu
einer Malerei geführt, die so vieles verschleiert.
Er lenkt die Aufmerksamkeit nur auf die wesent-
lichsten Punkte seines Gegenstandes. Jene Teile,
die für die Betrachtung ungefähr dasselbe sind,
wie für den Hörer einer Symphonie die Pulte
des Orchesters, drängt Carriere zurück und deckt
sie mit einem Schatten, aus dem nur ab und zu
eine Silhouette gleich einer Erinnerung auftaucht,
bestimmt, das Milieu anzudeuten, wenn der
Künstler es für nötig erachtet. Und dieser
flüchtige Schatten der Dinge übernimmt im Bild
eine belehrende Rolle. „Das ist ein Schriftsteller",
sagt er, „das ein Bildhauer", oder „in diesem
Kaum herrscht kein Wohlstand". Eine Andeutung
genügt so, eine ganze Persönlichkeit zu charakteri-
sieren, wie ein Parfüm, das in der Luft vorüber-
zieht, die Nähe einer Dame verrät

Außer diesen rein logischen Gründen hatte
Carriere noch andere, die ihn zu dieser „Nebel"-

Malerei bestimmten. In seiner leidenschaftlichen
Hinneigung zum Mystischen liebte er es, dem
traulichen Geflüster der Schatten und Geheimnisse
zu lauschen, so Fühlung nehmend mit zwei der
größten Überlieferungen in der Malerei, Leonardo
da Vinci und Rembrandt. Carriere denkt an das
Mysterium nicht bloß in den Unbestimmtheiten
des Hintergrundes, er denkt daran sogar in der
Bestimmtheit seiner am kräftigsten modellierten
Gesichter. Nichts besitzt einen stärkeren ver-
schwommenen und doch wieder klar ausge-
sprochenen Reiz als Augen, die Carriere gemalt,
als Lippen, von seinem Pinsel geküßt. Der tiefe
Denker Joubert, ein prophetischer Geist, hat ein
paar Sätze geschrieben, die hier am Platze sind:
„Sicherlich hat das Schöne eine sichtbare Schön-
heit und eine verborgene. Sicherlich hat es nie
soviel Reiz für uns, als wenn wir es andächtig
in einer Sprache lesen, die wir nur halb verstehen."
Keine Erklärung könnte besser auf das Werk
Carrieres passen.

„Kunst ist's, wenn sich's bewegt!" erklärte

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