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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

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Michel, Wilhelm: Jessie M. King - Glasgow
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https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0027

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Jessic M. King—Glasgoiv.

fJOHM-LAME,- THE.-BODJLEY-HEAD
iLOHDOM-AND-HEW-YORK'MDCCCCIV •

JESSIE M. KING—GLASGOW.

liehen und weiblichen Gesichtszügen macht.
Da begegnen wir immer wieder dem prä-
raffaelitischen Profil mit der vorspringenden,
gänzlich ungriechischen Stumpfnase und dem
zugespitzten Kinn, das längst zu einem
Allgemeinbesitz der englischen Kunst ge-
worden ist.

Zu Miss Kings besonderen Vorzügen ge-
hört auch die sublime Art und Weise, wie
sie mit der Farbe zu schalten versteht. Man
geht wohl nicht fehl, wenn man hierin das
Vorbild der Japaner zu erblicken glaubt.
Bei näherem Zusehen erkennt man, daß Miss
King fast nur verschiedene Tönungen des
Grau verwendet. Es entsteht auf diese Weise
20

~1 eine Farbenwelt von entzücken-
dem Wohllaut und großer toniger
I Gebundenheit. Die Farben schei-
nen mit dem Grau einen spiele-
rischen, tändelnden Kampf zu
führen. Sie werden nur wie durch
einen leichten Aschenstaub hin-
durch sichtbar. Auch hier haben
wir das Prinzip der Andeutung,
des Erratenlassens, und es feiert
hier vielleicht noch schönere
Triumphe als auf dem Gebiete
der Zeichnung. Miss Kings Kolo-
ristik regt das Auge an und
macht es dichten. Und so ist
ihre Farbe trotz aller Kargheit
und Zurückhaltung doch viel
reicher und üppiger, als wenn
Einer sämtliche Register der
Koloristik zöge. Man erkennt
auch an diesem Beispiel, das
unsere Abbildungen in überaus
gelungener Weise veranschau-
lichen, daß die Nüance höher
steht als das reine Pigment, daß
es einzig und allein auf das an-
kommt, was der Maler die
Valeurs nennt. — Mit allen ihren
Vorzügen ist Miss Kings Kunst
in hervorragendem Maße weib-
lich zu nennen. Sie berührt uns
wie mit kühlen, weichen Frauen-
händen und hat jenen halb see-
lischen, halb sinnlichen Reiz, den
das weibliche Wesen ausströmt. Wie es aber
zu gehen pflegt: diesen Vorzügen entsprechen
auch gewisse Mängel und Nachteile, die in
diesem Zusammenhange ebenfalls berührt
werden mögen. Diese Kunst atmet den
feinsten, den gewähltesten Geschmack, aber
sie ist auch kaum mehr als Geschmackskunst.
In einem früheren Hefte dieser Zeitschrift
hat Ernst Schur eine verdienstvolle Unter-
suchung über das Wesen des Geschmackes und
seinen Gegensatz zur eigentlichen Schöpfer-
kraft veröffentlicht. Es stellte sich dabei
heraus, daß Geschmack ein Ende, nicht ein
Anfang ist, daß er eine Verarbeitung bereits
geschaffener Kunstwerke bedeutet, aber selbst

»Titelblatt«.
Besitzer: John Lane—London
 
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