Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

DOI Artikel:
Schaukal, Richard von: Heinrich Vogeler - Worpswede: Als Buch-Illustrator
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0306

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heinrich Vogeler— Worpswede.

Heinrich vogeler—Worpswede. Buchschmuck.
Verlag Schuster & Löffler—Berlin.

Was in dieser Vogelerschen Arabeske
aufgeht, das Wesenhafte aber ist die deutsche
Frühlings - Sehnsucht. Vogelers künstle-
risches Ingenium ist das des deutschen
Romantikers. Alle Erscheinungen sind ihm
Märchen der deutschen Frühlingsromantik.
Der deutsche Frühling ist traurig. Seine
Melancholie ist die der unerfüllbaren Sehn-
sucht. Alles irdische Werden trägt den
Vernichtungskeim in sich. Gerade der Periode
der steigenden Säfte, der ergrünenden weichen
Formen ist das Ahnen des Endes, nicht nur
als logischer: als immanenter Gegensatz
eigentümlich. Und die Sehnsucht des Früh-
lings ist die unfruchtbare Sehnsucht nach
der Ewigkeit dieses jeweils einmaligen
süßesten Augenblicks. Nicht »den Frühling«
stellt Vogeler dar, er singt in Linien von
des Frühlings Sehnsucht. Der Frühling sehnt
sich, Sommer zu werden, und stirbt daran. Der

Herbst sehnt sich nach dem Sommer zurück
und stirbt daran. Vogelers keusche Frühlings-
weise, das Leitmotiv seiner Weltanschauung,
sind die Flötentöne vom Scheiden. Seine
schönsten Linien senken sich trauernd. Im
Bilde des Weidenbaums läßt seine jugend-
lich müde Trauer ihre feinen schmalen Zweige
niederhängen. Und die sinkenden Schultern
seiner Mädchen mit den schmalen, langen,
schwanengleichen Hälsen, die lässig gleiten-
den seiner verzichtenden Jünglinge drücken
auf eine süße und quälerische Art dieses
Leidende des Frühlings aus. Dies ist deutsch,
ist germanisch, unübersetzbar. Die flim-
mernden Abendröten, die endlosen Weiten
des Horizonts, die . in den Himmel geleiten-
den Abhänge seiner Vignetten, das alles ist
germanische Frühlings - Sehnsucht. In dem
Aneinanderrücken liebender Schultern, dem
Aneinanderschmiegen in sich selbst zusammen-
sinkender junger Leiber, im Ineinander-
fließen wallender Haare, im Verschränken
ermattender Finger, in all diesen mensch-
lichen Ausdrucksformen liegt es ebenso wie
in den Kaskaden und Kadenzen der Spring-
brunnen, im flutenden über den Rand
Fließen der wunderbaren Ranken seiner
Urnen und Schalen, im Zagen seiner knos-
penden, im weichen Auseinanderfallen seiner
aufblühenden Rosen.

Die Arabeske ist das Gesetz des Märchens.
Das Märchen endet nie. Im Zeitlosen hat

Heinrich VOGELER—Worpswede. Buchschmuck.
Aus dem Werke: Ricarda Hucli, Dornröschen.
Mit Genehmigung des Verlags Eugen Diedrichs—Jena.

401
 
Annotationen