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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

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Schaukal, Richard von: Heinrich Vogeler - Worpswede: Als Buch-Illustrator
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https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0310

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pflegt: die Vatermörder, die breite Binde,
der hohe Rockkragen, das bartlose Antlitz
mit den schmächtigen braunen Backen-
haarstreifen. So sitzt er als ein sehr un-
heldenmäßiger Ritter zu Pferde, so führt
er als Jäger die Hunde, so sieht er sinnend,
zwischen dünnen Stämmchen, über die schüch-
tern sprossenden Felder. So hat er sein liebes
Haus gestaltet, eine heimliche kleine Solitüde,
deren leis antikisierende Fassade mit dem
Motiv der Kugelakazien und Orangen-Kübel-
bäumchen, dem rankenüberrieselten Gitter-
tor in fließenden Variationen immer wieder-
kehrt, so hat er sich selbst in seine liebe
stille Welt verzaubert, ein deutscher Musikant,
ein ewiger Jüngling. Und in seiner häus-
lichen Idylle pflegt er mit bedeutsamer Liebe
die feinen Linien der bürgerlichen Tradition.
Seine schön getönten Vorsatzblätter, seine
Tapetenmuster atmen die warme behagliche
Natur des deutschen Empire: säuberliche
Sträußchen, schnurgerade Borten, liebliche
kleine Körbchen verteilt er mit Sorgfalt und
Ordnungssinn. Moerikes halblaute Lieder und
Mozarts blaßrosa Musik, eine Guitarre, am
grünen Band zu tragen, Blumen im Glase

Heinrich Vogekr— Worpswede.

auf weiß gestrichenen Fensterborden, frisch-
gewaschene Gardinen und Geranien aus
einer antiken Urne quellend, Schäferwölkchen
am sanftblauen Himmel und im Herzen die
deutsche Liebe zur ewigen Natur: das ist
Heinrich Vogeler. Aber der Träumer ver-
senkt sich ins trachtenreiche Leben der
deutschen Vergangenheit: und nun sitzen
seine sinnenden Frauen, seine Edelsänger
und Pagen an Weihern und Brunnen, in
Fensternischen und auf Warttürmen und
sehnen sich. Kindlich-dürftige Formen gibt
er seiner altdeutschen Maria: sie ist ein
Kind und träumt von ihrer Mutterschaft.

Alle diese Motive, ganz leise sich ver-
schiebend wie duftige Wolkenformen, wan-
deln durch sein reiches Werk. Vom be-
scheidensten Emblem aber, sauber umrissen
mit wenigen zarten Strichen, bis zum auf-
geregt flutenden Lineament, dem phan-
tastischen Orchester seiner orientalisierenden
Titelrahmungen: immer hat diese bei aller
Sinnenfreude keusche Kunst ihr Tiefstes in
sehnsüchtigen Tönen zu sagen, denn ihre
Seele ist die quellreine Seele des deutschen
Märchens. — richard schaukal.

ENDE

VERLAG SCHUSTER & LÖF FLEH—BERLIN.
 
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