DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Künstlerische Plakate
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0404
Künstlerische P/aka/e.
ENTWORFEN VON CARPANETTO—TURIN.
gummischuhe, Riesenbrillen, Riesendosen
für Schuhwichse, naturgetreu abgezeichnete
Fahrräder, Laufmäntel, Freilauf-Vorrich-
tungen, Lampen, Zigarren, Anzüge und
hundert andere Waren, für welche Käufer
geworben werden sollten. Sehr beliebt war
der geflügelte oder nicht geflügelte Genius,
der, von einem Strahlenkranz umwoben,
irgend ein neues Haarfärbemittel mit über-
irdisch verklärten Mienen in den Händen
schwang. Oder der Patentschuh, die Cham-
pagner-Flasche, das neue Fahrradmodell
wurden einfach auf eine Weltkugel gestellt
und gaben damit zu erkennen, daß sie sich
wohl im Stande fühlten, die ganze Erde zu
beherrschen und mit ihren Segnungen zu
beglücken. Solche und viele andere Wege
beschritt der erfinderische Ungeschmack mit
nimmer müdem Behagen, aber es lohnt sich
nicht, ihm nachzugeben, um so weniger, als
leider Gottes noch heute die nächste beste
Plakatwand instruktive Greuel genug enthält.
Wie stellt sich das moderne Künstler-
plakat zur Frage der Gegenständlichkeit?
Es hat vor allem darauf verzichtet, die
angepriesene Ware naturgetreu vorzuführen.
Maßgebend dafür war außer Beweggründen
des Geschmackes wohl die Tatsache, daß
sich der Käufer sein Urteil über die Ware
ja doch erst beim Einkauf an Ort und Stelle
bildet, daß es also nicht den mindesten
Zweck hat, ihm ihr idealisiertes Porträt vor-
zuführen. Außerdem bedeutet das getreue
Abschildern eines Gegenstandes stets ein
Heraustreten aus der künstlerischen An-
schauungsweise, die nur das Ganze, nicht
das Einzelne schätzt, die charakterisieren,
nicht sklavisch und temperamentlos nach-
bilden will. Dem modernen Plakatkünstler
kommt es lediglich darauf an, einen Gegen-
stand, einen Vorgang, eine Figur zu bringen,
die zu der angepriesenen Ware in irgend
einer, wenn auch noch so losen Beziehung
steht. Er ist sich bewußt, daß er nur die
Blicke anzuziehen und die nähere Kenn-
zeichnung der Ware dem Plakattexte zu
überlassen hat. Er will bildliche Eindrücke
RUDOLF WOLF—MÜNCHEN. Druck: Vereinigte Druckereien
vorm. Schön & Maison—München.
499
ENTWORFEN VON CARPANETTO—TURIN.
gummischuhe, Riesenbrillen, Riesendosen
für Schuhwichse, naturgetreu abgezeichnete
Fahrräder, Laufmäntel, Freilauf-Vorrich-
tungen, Lampen, Zigarren, Anzüge und
hundert andere Waren, für welche Käufer
geworben werden sollten. Sehr beliebt war
der geflügelte oder nicht geflügelte Genius,
der, von einem Strahlenkranz umwoben,
irgend ein neues Haarfärbemittel mit über-
irdisch verklärten Mienen in den Händen
schwang. Oder der Patentschuh, die Cham-
pagner-Flasche, das neue Fahrradmodell
wurden einfach auf eine Weltkugel gestellt
und gaben damit zu erkennen, daß sie sich
wohl im Stande fühlten, die ganze Erde zu
beherrschen und mit ihren Segnungen zu
beglücken. Solche und viele andere Wege
beschritt der erfinderische Ungeschmack mit
nimmer müdem Behagen, aber es lohnt sich
nicht, ihm nachzugeben, um so weniger, als
leider Gottes noch heute die nächste beste
Plakatwand instruktive Greuel genug enthält.
Wie stellt sich das moderne Künstler-
plakat zur Frage der Gegenständlichkeit?
Es hat vor allem darauf verzichtet, die
angepriesene Ware naturgetreu vorzuführen.
Maßgebend dafür war außer Beweggründen
des Geschmackes wohl die Tatsache, daß
sich der Käufer sein Urteil über die Ware
ja doch erst beim Einkauf an Ort und Stelle
bildet, daß es also nicht den mindesten
Zweck hat, ihm ihr idealisiertes Porträt vor-
zuführen. Außerdem bedeutet das getreue
Abschildern eines Gegenstandes stets ein
Heraustreten aus der künstlerischen An-
schauungsweise, die nur das Ganze, nicht
das Einzelne schätzt, die charakterisieren,
nicht sklavisch und temperamentlos nach-
bilden will. Dem modernen Plakatkünstler
kommt es lediglich darauf an, einen Gegen-
stand, einen Vorgang, eine Figur zu bringen,
die zu der angepriesenen Ware in irgend
einer, wenn auch noch so losen Beziehung
steht. Er ist sich bewußt, daß er nur die
Blicke anzuziehen und die nähere Kenn-
zeichnung der Ware dem Plakattexte zu
überlassen hat. Er will bildliche Eindrücke
RUDOLF WOLF—MÜNCHEN. Druck: Vereinigte Druckereien
vorm. Schön & Maison—München.
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