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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 19.1906-1907

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Widmer, Karl: Zur Entwicklung des modernen Wohnhauses
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https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0420

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Zur Entwicklung des modernen Wohnhauses.

entwicklung noch nicht gefunden, wie die
Innenraumkunst, namentlich die Behandlung
der Möbel in der Anknüpfung an Empire und
Biedermeier. Im Bauen herrscht immer noch
der Eklektizismus, der seine Anregungen aus
allen Stilen schöpft. Aber schließlich kommt
es nicht auf die P'orm, sondern auf den Geist
der Behandlung an. Es gilt eben, den Ge-
danken an den Charakter eines modernen
Bürgerhauses festzuhalten. Und der liegt in
einer gediegenen, alle Protzerei nach außen
vermeidenden Natürlichkeit. Dafür gibt aber
die vornehme Schlichtheit des Biedermeier-
hauses ein Vorbild von unvergleichlicher
Vollkommenheit. Die Entwicklung der mo-
dernen Wohnhausarchitektur strebt nach einem
Ausgleich zwischen der Einfachheit und Ruhe
der strengeren Stile und der Freiheit der
gruppierenden Bauweise. Indem sie die Vor-
teile des einen mit denen des andern zu ver-
binden sucht, bald die Regelmäßigkeit, bald
die Gruppierung stärker betont, schafft sie
sich die Bewegungsfreiheit, wie sie die mannig-
faltigen Bedürfnisse unserer heutigen Kultur
verlangen. Anders liegen die Bedingungen
beim Landhaus und freistehenden Einfamilien-
haus, anders beim Miet- und Etagenhaus.
Unter den Beispielen historischer Baukunst,
mit denen unsere heutige Architektur als den
Grundlagen ihrer eigenen Entwicklung zu
rechnen hat, bietet aber das Biedermeierhaus
außerdem den doppelten Vorzug, daß es
uns zeitlich und geistig am nächsten steht.
Es verwirklicht den letzteren, noch unmittel-
bar in die Jugend unserer Väter hinein-
ragenden Trieb der historischen Tradition und
lebt als solcher noch fort im unmittelbaren
Gebrauch der heutigen Generation. Und es
bewahrt in der bescheidenen Liebenswürdig-
keit seines künstlerischen Charakters vor
der Verirrung in den Monumentalstil, der
dem Wesen unserer modernen bürgerlichen
Kultur so ganz und gar fremd ist. Es ist
bürgerlich und ist darum modern. So ist
es also nur natürlich, daß das deutsche Bürger-
haus der Zukunft, wie in seinem Innern, so
auch in seinem Äußern immer entschiedener
die Züge einer geistigen Verwandtschaft mit der
letzten Charakterform des deutschen Bürgerhauses
annimmt, die unserer Vergangenheit entstammt.
Und zwar einer Verwandtschaft, die dem Bauen
auch den Charakter aufprägt, wo andere Stile
- mittelalterliche oder neuzeitliche — zu Grunde
gelegt werden.

* * *

Im Anschluß an die vorstehenden Aufsätze
dürfte es unsere Leser interessieren, daß soeben

J. R. WITZEL—MÜNCHEN. Druck: Vereinigte Druckereien

vorm. Schön & Maison-München.

eine kleine Schrift Richard Schaukais er-
schienen ist, der der Artikel »Die sogenannte
moderne Wohnung« entnommen ist. (»Die
Mietwohnung«. Eine Kulturfrage. Glossen von
Richard Schaukai, zirka 60 Seiten und Illu-
strationen. M. 1.20. Verlagsanstalt Alexander
Koch —Darmstadt). Sie zieht in einer Reihe
trefflicher, feinsinniger Abhandlungen, betitelt
»Zustand und Behelfe«, »Ausstattung«, »Neue
Einrichtung«, »Revolutions Snobismus;<, »Psycho-
logie des Mobiliars«, »Die moderne Wohnung«
und »Utopien« gegen die moderne Unkultur
und Geschmacklosigkeit zu Felde und predigt
eindringlich und überzeugend Einfachheit.

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