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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Michel, Wilhelm: Auguste Rodin - Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0016

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Auguste Rodin—Paris.

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AUGUSTE RODIN—PARIS.

Marmorplastik »Badende«.

PHOTOGRAPHIE J. E. 11ULLOZ-PARIS.

AUGUSTE RODIN-PARIS.

Im Portikus des Privatmuseums, das sich
Rodin zu Meudon gebaut hat, stehen weiße
Götter - Gestalten, wundervolle verstümmelte
Menschenkörper aus Griechenlands bester Zeit.
Ein unnahbares Lächeln um die Lippen,
spottend über alle Angriffe der Vergänglich-
keit, in der letzten, ärmsten Gewandfalte noch
die Kraft bewahrend, die den Tod besiegt,
stehen sie hier als Türhüter vor dem Werk
eines Menschen unserer Zeit. Zeugen einei
Epoche, da der Mensch in ungebrochener
Kraft über die dunklen Mächte seiner Brust,
über Welt und Leben herrschte, stehen sie
hier als Eideshelfer eines Künstlers, in dem
unsere durchwühlte, zerklüftete, von Zweifeln
und Geistesnöten bis auf den Tod geängstete
Gegenwart Gestalt gewann.

Und man erstaunt über den maßlosen
Stolz, der sich in dieser Zusammenstellung
ausspricht. So viel wackeres Streben sah man
schon an jenen Hemmungen zu Grunde gehen,
daß man sich gewöhnte, die Widersprüche

fromm hinzunehmen und für sich und andere
den stummen, letzten Verzicht zu tun.

Sollte es diesem nun gelungen sein, das
alles in sich zu besiegen, die ungeheure Last
abzuschütteln, die die letzten Jahrhunderte
dem Menschen auf die Schultern geladen haben ?

Wir treten ein und erblicken drinnen,
aus Schatten aufragend, abenteuerliche Ge-
stalten, die nicht griechisch lächeln, die nicht
voll apollinischer Hybris über dem Leben
stehen wie auf einem hohen Berge. Das
Leben, das Drama und das Leiden schlägt
in ihnen und um sie empor wie die Flamme
im Hochofen, wie Rauch, der aus einem
Scheiterhaufen fährt. Häufungen von Menschen-
körpern sind da, wild ineinander verschlungen,
von Krämpfen geschüttelt, von Gefühlen durch-
wühlt, von Lasten zerdrückt, die den gött-
lich reinen Marmorgestalten vor der Türe ewig
fremd geblieben sind. Dort hat ungeheure
Formgewalt den Stein bezwungen und ver-
nichtet; er führt nur noch ein verklärtes

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