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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Scheffers, Otto: Geschmacks-Wandlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0066

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Geschmacks- Wandlungen.

PROFESSOR
ALB IN MÜLLE
DARMSTADT.

GROSSER
KERZBNTRÄGER
IN SERPENTIN ST KIN
UND BRONZE.

AUSF.: SÄCHSISCHE
SERPENTIN STEIN -
GESELLSCHAFT
ZU ZÖHLITZ.

GESCHMACKS-WANDLUNGEN. Auf
dem Gebiete des Geschmackes zeigen sich
dieselben großen und kleinen Bewegungen,
wie in den Wässern des Meeres. Die großen,
Jahrhunderte und Jahrtausende überdauernden
Stilrichtungen gleichen den Meeres-Strömungen,
die in der kurzen Zeitspanne eines Menschen-
lebens sich kaum merklich verändern, aber dennoch
nach Ansicht unserer Geologen früher ganz andere
Richtungen eingenommen haben. Die Mode mit
ihren immer wiederkehrenden ähnlichen Ten-
denzen entspricht dem Auf und Ab der Flut und
Ebbe. Die Spuren, die der einzelne Künstler, ja
jeder Mensch in bezug auf Geschmackssachen
zurückläßt, das Gepräge, das er seiner Umgebung
aufdrückt, sind die Kielwässer der Schiffe, welche
das Meer durchfurchen, das Wellengekräusel,
welches der plätschernde Fisch hervorruft. Auch
Stürme, Wirbelwinde, Teifune, die das Meer

scheinbar bis in seine tiefsten Tiefen aufwühlen,
fehlen nicht, es sind die Geschmacks-Revolutionen,
die einzelne suggestiv wirkende Menschen oder
Völker verursachen, jene Revolutionen, die wir
mit Spannung erwarten, wenn wir sie herannahen
fühlen, die uns packen, wenn sie da sind, und über
die wir lachen, wenn sie vorübergezogen. Stil,
Mode, Laune, sie haben ihre Ursachen, ihren Zweck,
ihr Ziel. Entspringt auch die Mode im leßten
Grunde der Laune des Menschen, so übt sie doch,
wenn sie sich einmal durchgesetzt hat, auch wieder
eine tyrannische Gewalt über seine Launen aus,
und alle Schwankungen der Mode sind nur ver-
schiedene Färbungen des einmal gültigen Zeit-
stiles. Erst tief eingreifende Veränderungen
der Körperbeschaffenheit, Geistesverfassung und
Lebensgewohnheiten des Volkes, die sich aber
nur ganz allmählich, dem einzelnen kaum erkenn-
bar, vollziehen, ändern den Stil. — o. schefkers.

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