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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Servaes, Franz: Über künstlerische Vision
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0067

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Franz Servaes—Wien:

MM?

Professor ernst riegel-darmstadt. Silberne Dose mit Achat-Deckel.

ÜBER KÜNSTLERISCHE VISION.

von franz servaes—wien.

Es war im Wiener Kunstsalon Miethke, vor
den allegorischen Kolossal-Gemälden der
Fakultäten von Gustav Klimt. Drei Kunst-
schriftsteller und eine sehr geschätzte Künstlerin
waren wir beisammen, und da konnte es
denn nicht fehlen, es entspann sich alsbald
eine recht lebhafte Diskussion. Die Meinungen
flogen wie blitzende Schwerter durch die
Luft und obgleich wir alle darüber einig
waren, in Klimt eines der apartesten und
bewundernswertesten Talente unserer Zeit zu
verehren, gingen unsere Ansichten über den
Grad der Bewertung und über das Endgültige
seiner Leistung doch sehr weit auseinander.
Der Frondierende war diesmal ich, ehemals
wohl der glühendste und exponierteste Vor-
fechter von Klimt. Da ich jedoch meine
geistige Entwickelung sich ruhig an mir voll-
ziehen lasse und den in mir reifenden
Erkenntnissen nicht mit Staudämmern der
Theorie entgegenzuwirken liebe, so hielt ich
mich nicht für berechtigt, der kritischen
Stimmung, die sich, ein wenig, zu meiner
Überraschung, Klimt gegenüber allmählich
bei mir herausgebildet hat, mit fertigen und
abgestempelten Maximen entgegenzutreten.
Mein Widerspruch erwuchs hauptsächlich vor
dem Bilde der Jurisprudenz, das mir auch
früher schon als Klimts problematischste

Leistung erschienen war und das sich mir
jetzt als eine in vielfacher Abhängigkeit aus
oft disparaten Elementen mehr künstlich zu-
sammengestellte als organisch gewachsene
Kunstleistung darstellte. Dabei verkannte ich
jedoch keineswegs die oft bezaubernden Einzel-
schönheiten und die raffinierte Geschmacks-
bildung, die sich im Ganzen darin ausspricht.
Meinen österreichischen Freunden hatte ich
jedoch mit dieser bedingten Anerkennung
nicht genug getan, ich sollte mich kritiklos
vor dem Genius beugen und seine Schöpfungen
als Offenbarung entgegennehmen. Dazu konnte
ich mich nicht verstehen und tadelte vor allem
die Uneinheitlichkeit der Raumanschauung, die
tür mein Empfinden das Bild zerreißt, und
die dadurch gegebene Losgelöstheit nicht
etwa blos vor den Erscheinungen, sondern
selbst von den Gesetzen der Natur. Den
ersteren gegenüber war ich bereit, dem Künstler
jegliche Art von Freiheit zuzugestehen, vor
den letzteren forderte ich eine phrasenlose
und ehrfürchtige Unterwerfung. Ich erntete
mit meinen Ausführungen nur Spott. Ich sei
eben, trotz achtjährigen Wiener Aufenthalts,
ein Deutscher geblieben und könne mich von
dem deutschen Vorurteil, daß die Kunst von
der Natur abhängig sei, nicht losmachen; die
Kunst habe mit der Natur nicht das mindeste

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