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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Schliepmann, Hans: Sommergäste-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0075

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Sommergäste-Kunst.

SOMMERGÄSTE-KUNST.

Im Fiebertempo unseres Lebens wird das Aus-
spannungsbedürfnis immer mächtiger. Hundert-
tausende sind nun eben wieder von Berg, Wald
und See in das Räderwerk der Großstadt zurück-
gekehrt, dessen Getriebe doch auch schon wieder
den Landmann immer häufiger von der Scholle
zu gelegentlichem Auskosten höherer-nächtlicher
Kultursegnungen lockt. Immer lebhafter also
wird zwischen Stadt und Land ein Austausch
der Anschauungen und Neigungen; und da es
gerade die Bevorzugteren sind, die draußen
Erholung suchen können, so sollte man meinen,
daß mit den lieben Sommergästen auch ein
Strom von höherer Gesittung, feinerer Geschmacks-
kultur sich ins weite schöne Land ergieße.
Närrische Illusion! Wohl sind tausend Hände
eifrig bereit, den Goldstrom der Fremden auf-
zufangen, wo nur irgend die Natur ihre Herrlich-
keiten aufgebaut hat. Ganze Landschaften wandeln
sich nach den Bedürfnissen des Sommergastes ab.
Aber je weiter das Reisen um sich greift, desto
lebhafter fühlt der Feinsinnige die Wahrheit des
gekröpften Schillerschen Spruches: „Die Welt
ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht
hinkommt. ..." Wo er aber hinkommt, als
Sommergast oder Wanderer (Tourist auf deutsch!),
in Massen zu erhoffen ist, da entfaltet sich in
der schönen Gotteswelt eine neue besondere,
ganz moderne, früher nie geahnte Welt, die
ungewollt vom eigentlichen Zustande unserer
Kultur Bände redet. Über die grenzenlose innere
Barbarei unserer sogenannten Wohlsituierten sind
niemals schlagendere Satiren geschrieben worden,
als jede besuchte Sommerfrische, jeder berühmte
Aussichtspunkt sie dem sehenden Auge hohnvoll
predigt. Mag auch ein großer Teil jener Scheu-
säligkeiten auf der sittliche Verlotterung zu
schieben sein, der jedes Volk anheimfällt, das im
Halbparasitentum der Fremdenausbeutung lebt
und das aus innerer Unkultur und Beutegier nur
noch aufmerkt, wo aus den landläufigen Wünschen
der Sommergäste Geld zu machen wäre: Die
Hauptschuld trifft doch diese guten Sommergäste
selbst, denen ja doch der Herr Wirt den
Geschmack abzusehen sucht. So gibt denn im
Grunde die Sommergäste-Kunst das eigentliche
Kulturniveau unserer Wohlsituierten. Sie hat
noch Unterschiede, ja; doch ob sie nun mit
verschnörkelten Vogelkäfigen aus Holz unter
schrecklichem Pappdach auf Rügen den Leipzigern
oder Berlinern die Blüten provinzieller Zimmer-
meister-Verbildung serviert, ob sie in Harzburg
verprißelte und überladene unfreiwillige Kari-

katuren von Holzbauten für das Jobbertum er-
richtet oder ob sie in Luzern und an der Riviera
dem internationalen Millionengesindel frostige
Scheinpaläste mit unübertrefflich erhabenen Ober-
kellnern öffnet, oder mit den niederträchtigsten
Megatheriumkasernen wie auf der Mendel, am
Karer- und am Misurinasee sich in die herrlichste
Natur hineinpaßt wie ein schmußiges Pflaster in
ein schönes Antliß: immer hat diese Sommergäste-
Kunst dieselben Kennzeichen des verlogenen,
schäbigen Luxusscheines, der Bastardformen aus
dritter Hand, der stinkenden Sparsamkeit „wo's
nicht gleich gemerkt wird". —

Das sei nicht der Geschmack des Publikums,
und man müsse sich damit eben abfinden wie
mit den hellhörigen Wänden und den flegelhaft
lärmenden Nebenwohnern und den unverschämten
Preisen; man wolle und müsse doch nun einmal
an so einem Ort mindestens übernachten? —
Bitte, erkundigt Euch, welche Ansichtspostkarten
am meisten verlangt werden: die wirklich oft
schon ganz prächtigen Photographiedrucke oder
die schreiend bunten Aussichtsgemüse. Und dann
seht Euch an, was die „Andenken"-Industrie her-
vorbringt ! Meint Ihr, diese Flundern als Asch-
becher, diese Sessel aus Hörnern, diese ge-
schnißten Gekröse als Uhrbehälter und all jener
tausendmal gegeißelte Aberwiß des sog. Kunst-
gewerbes würde noch angefertigt, wenn er nicht
gern gekauft würde? Nein, das ist eben die
Kultur des Sommergast-Geschmackes! Und meint
Ihr, alle diese Plakate, die jeden schönen Aus-
sichtspunkt verschandeln, wären möglich, wenn
nicht unter hundert Reisenden neunundneunzig
davon träumten, nun nächstens auch ihre glän-
zenden Stiefelwichsen oder Detektiv-Romane da-
neben anpreisen zu können?

Wißt Ihr denn nicht, daß Ihr die Götter für
diese Kellner- und Hausknechts-Seelen seid, die
auf Eure Füchse lauern? Würden sie Euch die
Plakate hinzupflanzen wagen, wenn Ihr sie einmal
ernstlich übel nähmet? Dies einzusehen und
stets gegenwärtig zu behalten, bringt nun aber
auch gleich das erste und einzige Mittel, hier
Besserung zu schaffen: Einspruch erheben! —

Man zeigt mir irgend ein aberwißiges Mach-
werk von Reise-Andenken zum Kauf: „Nein, das
ist zu scheußlich", sag' ich mit lachender Grob-
heit. „Ja, der Geschmack ist so verschieden",
antwortet die Verkäuferin mit überlegener, doch
verleßter Würde. „Richtig; die Niam-Niam treiben
sich sogar die Oberlippe durch einen Bierspund
auseinander. Verkaufen Sie das hier an die

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