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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Frank, Willy: Die Tradition im Kunst-Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0082

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DIE TRADITION IM KUNST-GEWERBE.

Die theo:' ><-~:-.e Bearbeitung der modernen
kunstgewerblichen Bewegung setjt gegen-
wärtig mit frischen Kräften ein. Freilich ist sie
von Anfang an von theoretischen Erörterungen
begleitet gewesen. Ähnlich den Juden beim
Tempelbau führten die Künstler, die an der Spitje
der Bewegung standen, in der einen Hand Kelle
oder Hammer, in der anderen das Schwert, nur
daß dieses letztere eine mit kampflustiger Tinte
gefüllte Stahlfeder war. Aber die temperament-
vollen Pronunciamentos, von denen damals
Zeitungen und Zeitschriften dröhnten, besaßen
doch nur eine beschränkte Gültigkeit. Sie sind
uns heute wertvoll als Belege für die Oedanken,
die die ersten kunstgewerblichen Taten begleiteten.
Aber über die wirklichen Triebfedern der Be-
wegung, über ihre wirkliche historische Begrün-
dung und Einreihung sagen sie herzlich wenig
aus. Was heute über diese Dinge gesagt wird,
ist schwerer zu nehmen. Es ist vielleicht nicht
richtiger, aber wichtiger, es tritt mit ernsteren
Ansprüchen auf, es entfaltet eine größere Wirk-
samkeit. Der Zeitpunkt ist da, daß ernsthaft an
eine endgültige Theorie des Kunstgewerbes
herangegangen wird. An Versuchen dazu fehlt

es nicht. Ein charakteristisches Merkmal dieser
Versuche soll hier besprochen werden.

Ich finde dieses Merkmal in einer gewissen
theoretischen Traditionsseligkeit, die dem modernen
Kunstgewerbe allerlei Verbindungen nach rück-
wärts geben möchte. Tradition heißt Über-
lieferung, heißt Erbschaft. Ein Erbrecht hat
es zu jeder Zeit und auf allen Gebieten gegeben.
Neuerdings scheint man ihm in Dingen der
Kunst aber eine Erbpflicht beigesellen zu
wollen, dergestallt, daß eine Neuerscheinung nur
dann als gerechtfertigt gilt, wenn es gelingt, sie
mit irgend welchen Vergangenheiten in Verbindung
zu serjen. „Traditionslos!", das war eines der
ältesten Schimpfwörter, mit denen gelehrte und
ungelehrte Pfahlbürger die kunstgewerbliche Be-
wegung zu verdächtigen suchten. Neuere, be-
sonders jüngere Anwälte des modernen Kunst-
gewerbes suchen ihm eine Überlieferungsgrundlage
zu geben und erkennen damit die verdächtigende
Kraft dieses Schimpfwortes an.

Mir scheint aber, es gibt für das Kunst-
gewerbe keine ausgesprochene Erbpflicht. Gegen-
über der Traditionsseligkeit, die sich unter den
verschiedensten Formen breit macht — es ist

1808. I.

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