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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Schaukal, Richard: Ein Mahnwort an die Erben: Eine Wiener Glosse
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0168

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Ein Mahnwort an Erben.

CAMPBELL & PULLICH—BERLIN.

Eine Wand aus dem Herrenzimmer.
Im Kasino der Rombacher Hüttenwerke.

EIN MAHNWORT AN ERBEN.

EINE WIENER GLOSSE VON RICHARD SCHADKAL.

Wieder einmal rüstet man sich, unsre Stadt
auf das empfindlichste zu schädigen, sie
einer niemals zurückzugewinnenden Schönheit kalt-
blütig zu berauben. Und Wien bleibt ruhig. Kein
Aufruhr durchbraust es. Gevatter und Gevatterin
lesen neben Todesfällen und Theaternachrichten
mit flüchtigen Blicken die nicht allzu belangvolle
Mitteilung, meditieren darüber nicht weiter und
gehen ihren Geschäften nach.

Hat es auch nur den geringsten Sinn, in die
Wüste dieser Apathie als „der Rufer" zu treten?
Zu nahe geht mir die Sache, die es will.

Man beabsichtigt, einen der wenigen monu-
mentalen Prospekte zu zerstören, der Wien aus
seinen großen historischen Zeiten noch geblieben
ist: das Gebäude des Kriegsministeriums „am Hof".

Bürger dieser schon so arg und unrettbar
geschädigten Stadt, ich muß wohl oder übel an-
nehmen, daß ihr nicht sehet, was um euch vor-

Ich besass es doch einmal,

was so köstlich ist ... . (Goethe.)

geht im Sichtbaren, daf3 alles, was nicht an eure
nächsten Zwecke rührt, für euch nicht vorhanden
ist; aber bedenket: mit eurer alten Stadt schwindet
ein Teil der euch nährenden Atmosphäre, der Boden
wankt, darauf ihr eure Utilitarierschritte schreitet,
die Fremde tut sich um euch Arglose auf, die
Heimat wandelt sich ins „Elend".

Ich weiß, es macht euch nichts aus, daß
dort, wo ein harmonisches Gebilde gestanden
hatte aus Urväterzeiten, sich irgendein architek-
tonisches Monstrum räkelt mit dem Stempel der
Gemeinheit vor der wulstigen Stirn. Ihr habt
dem alten nichts abgewinnen können und beurteilt
das neue nicht. Aber ihr, die ihr so gleichmütig
seid, glaubet nicht, daß eine schleichende Pest
minder wirksam sei als eine plötjliche Katastrophe.
Wo ein Leichnam liegt, verderben die Quellen.
In einer Stadt, in der die Schönheit an der Wurzel
abstirbt, erkrankt leise die Luft. In einer Stadt,

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