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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Schaukal, Richard von: Andreas von Balthesser über die Betrachtung von Gemälden
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0291

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Richard Schaukai— Wien:

Entwurf: Prof. bruno paul—berlin. Kassette für eine Adresse der Akademie an die Kaiserin.

ausführung: emil lettre — berlin.

ANDREAS VON BALTHESSER ÜBER DIE BETRACHTUNG VON GEMÄLDEN.

von richard schaukal.

Vor Gemälde vermeide ich mit Bekannten zu
treten. Es wird dann immer höchst über-
flüssigerweise „geredet". Und sobald man vor
Gemälden über sie redet, entziehen sie sich
einem. Es ist, als ob es sie verdrösse. Sie ver-
hüllen sich gleichsam von innen heraus. Man
kann über Gemälde nur in ihrer Abwesenheit
sprechen. Das Gegenteil hat bei Menschen statt.
Ich finde, dag man über Menschen nur mit ihnen
selbst sprechen kann.

Gemälde soll man nur in Stimmung betrachten.
Es ist nicht wahr, daß sich die Stimmung ein-
stelle. Man muß Sehnsucht nach Gemälden emp-
finden, sogar Sehnsucht nach bestimmten Ge-
mälden. Spürt man unbestimmte Sehnsucht nach
Gemälden, dann mag man es versuchen, sich
gleichsam magnetisch mit dem in Rapport zu
setjen, das sein Antlitj im Nebel dieser unbe-
stimmten Sehnsucht verschleiert hält. Will es
sich nicht entschleiern, dann unterlasse man es,
an dem Schleier zu zupfen. Es schneidet sonst
plötjlich eine Grimasse, die lange nachwirkt. Aber
jede unbestimmte Sehnsucht birgt einen be-
stimmten Gegenstand. Unbestimmte Sehnsucht
ist nur ein vorläufiger, ein Verlegenheitsausdruck.
— Etwas anders ist gemeint, wenn ich hinzu-
füge, daß man sich in der Betrachtung von Ge-
mälden reinigen kann. Das soll nicht heißen,
daß man ohne Stimmung sei. Im Gegenteil: man

hat gerade dann, wenn man dieses Reinigungs-
Bedürfnis empfindet, eine sehr starke Stimmung
zu künstlerischen Eindrücken. Eben ihre Stärke
bedingt die Unlust, die einem das „andere" be-
reitet. Man wäre aber zum Beispiel nicht in der
Stimmung zu künstlerischer Betrachtung, wenn
man sich in sinnlicher Erregung befände. Wer
von der Dame seiner Sinne endlich die verheißende
Andeutung erhalten hat, der darf nicht vor Ge-
mälde treten. Er wird geneigt sein, eine Nudität
von Allegri über Reitergruppen von Mollyn zu
stellen, beziehungsweise, was noch schlimmer
ist, vor Rubens an die zu gewärtigenden Alkoven-
Bewegungen seiner Dame denken.

Ich habe es ferner immer äußerst uninter-
essant gefunden, mit Malern vor Bildern zu-
sammenzutreffen. Fachsimpelei ist der Tod der
künstlerischen Empfindung, die unmittelbar in der
Seele wirksam ist und so von seelischer Wir-
kung zeugt. Die Seele eines Künstlers spricht
durch ein Bild zu meiner Seele. Ihr muß ich
mit meiner Seele zu begegnen trachten. Da hält
technische Kennerschaft nur auf. Man mag ihre
Betätigung geruhig den nur allzu häufigen Stunden
der künstlerischen Ernüchterung überlassen.

Damit will ich durchaus nicht gesagt haben,

Aus dem soeben in 4. verbesserter Auflage bei Georg: Müller in
München erscheinenden Buche »Leben und Meinungen des Herrn
Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten«.

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