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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Sander, Clara: Über deutsche Frauen-Kleidung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0368

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Über deutsche Frauenkleidung.

ÜBER DEUTSCHE FRAUEN-KLEIDUNG.

Unter der Bezeichnung „deutsche Frauen-
kleidung" verstand man bisher eine von
deutschem Geschmack beeinflußte französische
Modekleidung. Wenn man ganz genau sein will,
so existierte der Begriff: deutsche Frauenkleidung
eigentlich nur für die Franzosen, denn für sie
allein war die deutsche Nachahmung franzö-
sischer Kleider ersichtlich, während wir in dem
Wahne lebten, französische Modekleidung zu
tragen.

Das was man jahrelang mit „Reformkleidung"
bezeichnete und was wir jeßt „deutsche Frauen-
kleidung" nennen möchten — denn eine „Reform"
ist etwas vorübergehendes und nur grundsäßliche
Opponenten finden an einem Ding ewig zu
reformieren — hat sich nach den verschiedensten
Seiten hin entwickelt, weil von den verschieden-
artigsten Kräften dafür gearbeitet worden ist.

Da sind in erster Linie die Hygieniker, die
bei einer Kleidung alles einfach, lose, luftig haben
wollen; da sind sodann die Schneider, die
eine Tracht mit breiter Taille aber sonst genau
nach der Pariser Mode schufen, und schließlich
haben wir unsere Kunstgewerblerinnen,
für die die Ausschmückung der Kleider mit
modernen kunstgewerblichen Mitteln die Haupt-
sache war.

Wenn man diese drei verschiedenen Auf-
fassungen näher prüft, so kommt man zu der
Überzeugung, daß keine von ihnen einzeln ge-
nommen etwas vollständiges bringt. — Eine
Kleidung soll und darf nicht allein hygienisch sein.
Nicht mit Unrecht hat man den Vertretern dieser
Richtung den Vorwurf gemacht ihre Kleidung
schreie den Menschen schon von weitem ent-
gegen: „Seht her, wie gesund ich bin." Das
Gesunde muß sich aber bei unserer neuen deutschen
Kleidung von selbst verstehn.

Die zweite Richtung hat verschiedene Nach-
teile. Sie hängt zu sehr von der Mode ab, ver-
wendet unmotivierte Verzierungen und opfert dem
tadellosen, straffen Siß des Kleides oft die Be-
quemlichkeit der Trägerin, wenn auch die einge-
schnürte Taille vermieden wird.

Die dritte Richtung schließlich, die kunstge-
werbliche, hatte bisher leider noch viele Ver-
treterinnen, die bei großem Verständnis für das

Ornament, schneidertechnisch durchaus unge-
nügendes leisteten und die durch schlecht ge-
schnittene und schlecht genähte Kleider den
Gegnern der deutschen Frauenkleidung Waffen
in die Hände gaben. Es entstanden plößlich eine
Menge von „Werkstätten für künstlerische Frauen-
kleidung", geleitet von Dilettantinnen, die wohl
künstlerisches Empfinden für Farben
und Besäße, aber keine Fachkenntnisse
der Schneiderei besaßen. Und doch — wie
bei jedem Kunstgewerbe - muß auch hier das
„Handwerk" die Wurzel sein, aus der sich
die Kunst entfaltet.

Aber wo waren die Gelegenheiten, wo
waren die Schulen, die zum Kunsthandwerk der
Schneiderei heranbildeten? Der für die Sache so
schädliche Dilettantismus war die unausbleibliche
Folge eines vollständigen Mangels an Fach-
schulen. Diesem Mangel abzuhelfen ist eine
der notwendigsten Aufgaben unserer Mitkämpfer.
Wir haben augenblicklich in Deutschland eine
ganze Reihe talentvoller, unternehmender Frauen,
welche die drei oben angedeuteten Richtungen
zu vereinen suchen und sich bemühen, für die
neue deutsche Frauenkleidung einen festen Boden
zu schaffen.

Ist durch diese Künstlerinnen erst eine Unter-
lage gefunden worden, auf die sich eine Lehr-
methode aufbauen läßt, haben sie selbst so viel
gelernt, daß sie zu unterrichten fähig sind, dann
werden gewiß auch die Fachschulen diesen
Pionieren eines neuen deutschen Kunstgewerbes
ihre Tore öffnen.

In jüngster Zeit haben sich alle deutschen
Vereine für Verbesserung der Frauenkleidung
zu einem Verbände zusammengeschlossen. (Ver-
bandsorgan: Die neue Frauenkleidung, Verlag
Paul Neubner-Köln.) Dieser große Verband,
der sich über ganz Deutschland erstreckt, hat es
sich zur Aufgabe gemacht, all diejenigen zu
sammeln, die in irgend einer Weise an dem
Werke mithelfen wollen, für die deutsche Frau
eine deutsche Kleidung zu schaffen, d. h. eine
Kleidung, die ihrem Körper und ihrem Wesen ent-
spricht, die sie gesund und kräftig erhält und
die deutscher Kunst und Industrie neue Absatz-
gebiete eröffnet. clara sander Köln.

1908. VI. 3.

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