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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Jaumann, Anton: Die Stickerin Florence Jessie Hösel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0392

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DIE STICKERIN FLORENCE JESSIE HÖSEL.

Das sei gleich vorweg gesagt: Abbildungen
können von den ureigensten Köstlich-
keiten ihrer Werke nur eine leise Ahnung
geben. Diese Bildstickereien sind in dem
Maße Stickerei, daß ihre bildhafte Erscheinung
ablösen und für sich darbieten soviel heißt
als ihnen die Seele aussaugen und eine Maske
setzen an die Stelle warmen Lebens. Unsere
kleine Auswahl soll nicht mehr als einen gut-
gemeinten Hinweis darstellen, eine Einladung,
zu dem Werke selbst zu kommen.

Ich weiß wohl, wirksam wird der Hin-
weis auf ein Kunstwerk bei unserm Publikum
erst durch den stehenden Zusatz: Der Ver-
fasser ist königlicher Professor und Mitglied
der Akademie, ein anerkannter Meister in
seiner Kunst. Er hat seine Studien in München
und Düsseldorf bei den berühmten Professoren
X und Y mit Auszeichnung absolviert und
wurde nachmals öfters vom Kaiser durch Be-
stellungen ausgezeichnet. Dem gebildeten
Deutschen einen Künstler empfehlen, der keine
Schule besucht hat, der folglich nichts kann,
gilt als grobe Beleidigung.

Florence Hösel hat keinen Unterricht ge-
nossen, ja ihr blieben sogar die vielfachen
Berührungen mit der Kunst versagt, die im
Zeitalter der Volksbildung auch dem Laien
zuteil werden. Von Museen, Zeitschriften,
Arbeiten fremder Künstler hielt sie sich hart-
näckig fern. Ihre Bilder verraten denn auf
den ersten Blick, daß sie »nichts gelernt«
hat. Manchmal zeigen sich bedenkliche An-
klänge an Kinderzeichnungen, Fehler in der
Perspektive sind recht häufig. Und die Natur
weist Formen auf, die gewiß in keinem Lehr-
buch zu finden sind.

Aber es ereignet sich das Merkwürdige,
daß wir trotz alledem vor ihren Stickereien
seltsam tiefe Eindrücke empfangen, daß sie
uns stärker packen, als eine ganze Galerie
der geschicktesten Akademiker. Darum muß
von ihnen gesprochen werden.

Denken wir nicht an die Skizzen des
»Pan«. Das war bewußte, affektierte Primi-
tivität. Florence Hösel ist jede Affektation

fremd. Sie schafft naiv, weil sie nicht
anders kann. Ein unverbildetes, ursprüng-
liches Künstler-Temperament wirkt in ihr und
beherrscht sie mit solcher Eigenwilligkeit, daß
der künstlerische Drang sich unmittelbar in
das Werk umsetzen muß. Ein Einfluß von
außen ist ebenso unmöglich wie bewußte,
überlegte Wahl.

Aus der Tiefe des Unbewußten wachsen
ihre Werke herauf, darum ergreifen sie tief. Kein
fremder Ton stört die Reinheit der persönlichen
Aussprache. Wie selten ist solche Reinheit
und Unmittelbarkeit in unserer Kunst. Es
wimmelt von Zeichen und Formeln und
»Stilen«, die durch hundert Hände gegangen
sind und ihre Seele schon längst verloren
haben. Je abgegriffener sie sind, desto all-
gemeiner ihre Anerkennung. Schließlich
werden sie zur Schulschrift.

Naturen wie Florence Hösel können sich
eine Schulschrift nicht aneignen, weil ihre
Hand zu eigenwillig ist, um sich den Zügen
einer Allerwelts - Kalligraphie zu bequemen.
Korrektheit, diese fremde, allgemein geltende
Norm, das Ziel der Masse, erreichen sie nie.
Was sie hervorbringen, sind lauter Neu-
schöpfungen eigensten Gepräges, ohne Vorbild,
ohne Anlehnung an die Tradition, ohne die
Basis eines Stils.

Und doch ist das tausendmal wertvoller
als alle Korrektheit. Wir nehmen die Mängel
der Zeichnung und Komposition gerne in Kauf,
wenn dafür jedes kleinste Fleckchen geweiht
ist mit dem Blute der Persönlichkeit. Die
improvisierten Naturgebilde, in denen sich
die Unwissenheit versucht, tragen den Stempel
menschlicher Erfindung, sie werden uns lieb
eben als Zeugen naiven, tastenden Versuchens
oder sieghafter Erfindungskraft.

Soviele unserer besten Künstler mußten
zur Karikatur ihre Zuflucht nehmen, um ihrem
Drang nach intensivstem Ausdruck zu genügen.
Hier sehen wir die naiven Bildchen einer
Stickerin, die zum Überfließen voller Aus-
druck, voller Seele sind trotz ihrer simplen
Mache und ihres Mangels an Schule. Oder

1908 vi. 6.

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