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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Bredt, Ernst Wilhelm: Tradition oder Fortschritt?: Drei Fragen
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Michel, Wilhelm: Willy von Beckenraths "Johannes"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0050

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— oder war er nicht doch ein Revolutionär

— und ein Neuschöpfer? —
Zweifellos ist die Phrase von der Tradition,

der Bodenständigkeit bald verbraucht. — Es
ist eine Mode — nicht besser und nicht
langlebiger als die Moden vorher — als die
Baumoden des 19. Jahrhunderts zumal: denn
damals waren der Reihe nach ganz andere
»Stile« und Formen bodenständig. — Wer
aber noch nicht klar die Hohlheit der Phrase
von der »Tradition« fühlt — der vertiefe
sich doch einmal ernstlich in allgemeine oder
spezielle Kunstgeschichten. — Die Frage —
ob Tradition oder Fortschritt das Bessere —
das Auszeichnende ist, wird dann rasch ent-
schieden. Tradition im Sinne hand-
werklicher Stetigkeit und Übung ist
freilich gut — aber groß und bedeutend
ist nur der, der der Kunst zum Fort-
schritt verhilft, ihr neue Wege weist,

neue Monumente anderer Art als die
gewohnten errichtet.

So ist's gewesen, so wird's bleiben. Das
ist ein Resultat der Betrachtung alter Kunst-
praxis.

Und mag leichter in weiteren Kreisen
der Künstler gefallen und hochgehalten
werden, der in der als »Tradition« aner-
kannten Kunstweise des Professors X, des
Oberbaurates Y, oder des Ritters von Z
schafft — so wird man doch später seine
Art als die leichte eines Nachfolgers nur be-
zeichnen. — An solche Werke aber, die
Vielen vielleicht als disharmonisch zu unserer
Kunst jetzt auffallen, an Werke und Künstler,
die uns jetzt noch fragen machen, was ist
das für ein neuer, anderer Geist — an die
wird sich am wahrscheinlichsten dauernder
Ruhm, der Beginn neuer, künstlerischer
Epochen knüpfen. — e. w. b.

WILLY VON BECKERATHS „JOHANNES".

VON WILHELM MICHEL-MÜNCHEN.

Die scharfe Trennung zwischen Staffelei-
bild und dekorativem Gemälde gehört
ausschließlich unserer Zeit an. Sie bildet eine
ihrer merkwürdigsten Errungenschaften.

Bilder, die auf Distanz zu wirken ge-
zwungen waren, Bilder, die infolge ihrer Ab-
messungen und ihrer Umgebung voller tönende,
pathetische Worte zu sprechen hatten, gab es
früher wohl auch. Nie aber hat man gesehen,
daß ihnen von vornherein eine andere male-
rische Weltanschauung zu Grunde gelegt wurde
als den Gemälden, die ich Staffeleibilder ge-
nannt habe. Die Form und das Licht wurden
in beiden Fällen gleich analysiert, der Vortrag,
der Pinselstrich, der Farbenorganismus blieben
sich gleich. Nur sorgte man dafür, daß dem
größeren Raum eine Konzeption von größerer,
innerer Wucht, ein Bildgedanke von höherer
Expansionskraft entsprach. Die Welt blieb
dieselbe, nur sich selbst suchte der Künstler
zu steigern, wenn er sich vor eine große Auf-
gabe gestellt sah. Rafaels Schule von Athen
ist nicht anders gemalt als beispielsweise sein
Selbstbildnis. Bei Hans von Mare'es, bei
Anselm Feuerbach gibt es keinen Unterschied
zwischen einer dekorativen und einer intimeren
Vortragsweise.

Der heutige Künstler wird ein anderer
Mensch, wenn er eine Wand zu schmücken

unternimmt. Er bekommt andere Augen, er
bekommt eine andere Hand, sein Pinsel be-
ginnt eine völlig fremde Sprache zu sprechen,
die Farbe gewinnt eine veränderte Bedeutung.
Was er in heißem Bemühen gelernt hat, wird
ihm plötzlich zur Last. Jahrzehnte haben
unermüdlich an der Verfeinerung und Diffe-
renzierung des malerischen Ausdruckes, an der
Nuancierung des Weltbildes gearbeitet. Der
dekorativ schaffende Maler jedoch begibt sich
in eine freiwillige Armut. Er spricht im
Lapidarstil längst versunkener Zeiten, weil ihm
seine eigene, natürliche Sprache für solche
Zwecke ungeeignet scheint. Er vergegen-
wärtigt sich immer die Distanz, die sein Bild
zu überwinden hat, und er malt daher für
diese Distanz, nicht naiv aus seinem Inneren
heraus. Er schafft final, nicht genetisch. Er
schaltet beträchtliche Hemmungen in den
Schaffensprozeß ein, weil er bei ungehemmter
Äußerung dem Ziele fern zu bleiben meint.
Mit Recht? Mit Unrecht? Ich wage diese
Frage nicht zu entscheiden. Hier sei nichts
sonst getan als auf den besprochenen Unter-
schied hingewiesen. Es war vielleicht not-
wendig, daß er aufkam. Aber einer gesunden
künstlerischen Entwicklung scheint es mir zu
entsprechen, daß er bald wieder beseitigt werde.
Das Bild, das zu solchen Betrachtungen
 
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