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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Schmitz, H.: Julius Lessing (gest. 14. März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0211

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yülius Lessing.

JULIUS LESSING (GEST. 14. MÄRZ 1908).

Im Nachfolgenden soll in erster Linie die Stellung
gekennzeichnet werden, die Lessing in der
Bewegung des deutschen Kunstgewerbes
seit den legten 40 Jahren eingenommen hat. Mit
Lessings Namen tritt uns gleich die sogenannte
Renaissance-Bewegung von 1860 bis 90 vor die
Augen; ja, man hat, wenn man den Verlauf seines
Lebens betrachtet, die Entwicklung jener merk-
würdigen Epoche von Anfang bis zu Ende vor
sich. Wir können sie jeßt, da sie überwunden
ist, ohne Leidenschaft historisch betrachten.
1. Das Berliner Kunstgewerbemuseum.
Geboren 1843 in Stettin, studierte Lessing
von 1866 an in Berlin und Bonn klassische Philo-
logie und Archäologie. Die griechische Kunst-
geschichte Winckelmanns, deren 2. Auflage er
besorgt und mit Einleitung versehen hat, Böttichers
Tektonik der Hellenen, aber vor allem Sempers
„Stil in den technischen und tektonischen Künsten",
der 1863 erschienen, die größte Bewegung her-
vorrief, führten ihn nach Vollendung seiner Univer-
sitätsstudien auf das Gebiet der gewerblichen
Künste. Im Jahre 1870 begann er als Lehrer an der
Bauakademie und der Gewerbeakademie in Berlin
Vorträge über das Kunstgewerbe zu halten.

Wir erinnern uns in Kürze, daß dieses Institut,
von Beuth 1821 als Gewerbeschule gegründet
und von Schinkel lange Zeit geleitet, den Stüß-
punkt der gewerblichen Tätigkeit Preußens in
einer Zeit allgemeiner Schwäche bildete. Von
hier gingen Schinkels „Vorbilder für Fabrikanten
und Gewerbetreibende" und Böttichers Vorlagen
für Weberei, die „Dessinateurschule" aus, die
Jahre hindurch die einzigen Quellen waren, an
denen sich die Handwerker, die alle Überlieferung
verloren hatten, ihren Formensinn stärken konnten.
Die Sparsamkeit aber, die zur Zeit Friedrich
Wilhelms III. und IV. in dem verarmten Lande
walten mußte, ließ eine feinere Lebenshaltung
und somit ein blühendes Kunstgewerbe nicht auf-
kommen. Die königlichen Zimmer waren mit
glatten Mahagonimöbelchen beseßt, das Palais
des Kronprinzen wurde noch 1857 aufs Dürftigste
eingerichtet. Inzwischen war auf Anregung des
Prinzgemahls von England die erste Welt-Aus-
stellung zu London erfolgt, 1851, es wurde zum
ersten Mal der Welt zum Bewußtsein gebracht,
auf welchen tiefen Stand so viele Techniken und
Gewerbe, die in früheren Zeiten geblüht hatten,
gesunken waren. Das Kunsthandwerk Preußens,

das hier noch mit in erster Linie stand, vor allem
deshalb, weil Schinkel und Bötticher ihm einen
bestimmten Stil aufgeprägt hatten, trat auf der
2. Ausstellung in London, 1862, weit hinter das
französische und englische Gewerbe zurück. Dies
veranlagte die Kronprinzessin Victoria, den
Dr. Schwabe mit Ausarbeitung einer Schrift zu
beauftragen: Die Förderung der Kunstindustrie
in England und der Stand dieser Frage in
Deutschland (1866). Im gleichen Jahre bildete
sich in Berlin aus dem großen Berliner Hand-
werkerverein heraus ein Komitee von Gewerbe-
treibenden, Künstlern und Gelehrten, das im
Jahre 1867 einen Verein ins Leben rief mit dem
Namen: „Deutsches Gewerbemuseum" und
mit dem Zweck: den Handwerkern die Hilfsmittel
der Kunst und Wissenschaft zugänglich zu machen.
Eine Sammlung von Modellen und eine Unter-
richtsanstalt wurde ins Leben gerufen. Auf Für-
sprache des Kronprinzen wurde ein Staatsbeitrag
von 45000 Mark für Ankäufe auf der Pariser
Welt-Ausstellung 1867 gewährt. Das Institut,
dessen Leiter der Architekt ürunow war, war bis
zum Jahre 1872 in dem Gropiusschen Diorama
in der Stallstraße untergebracht.

In diesem Jahre trat Lessing in die Samm-
lung ein und organisierte die Ausstellung, die
auf Veranlassung der Kronprinzessin Victoria im
Königl. Zeughaus von alten Kunstgegenständen,
vor allem aus den Königl. Schlössern, veranstaltet
wurde. Das allgemeine Interesse, das diese
Ausstellung hervorrief, rückte auch das bisher
untergeordnete Gewerbemuseum in die öffent-
liche Aufmerksamkeit. Das Ministerium über-
wies ihm 1873 das Gebäude der Porzellan-Manu-
faktur (Leipziger- und Königgräßerstraße) und
seßte eine jährliche Unterstüßung von 54000 Mark
fest. Lessing wurde zum Direktor der Sammlung
ernannt. Alsbald tat sich seine organisatorische
Begabung hervor, er betrieb, daß der wertvollste
Teil der alten Königl. Kunstkammer im Jahre
1876 bis 77 dem Museum eingefügt wurde, wo-
durch dieses mit einem Schlage in die Reihe
der erstklassigen Sammlungen rückte, er leitete
den Ankauf des Lüneburger Silberschaßes, ordnete
das Ausstellungswesen und führte endlich die
Vorarbeiten für den Neubau des Museums, der
in den Jahren 1877 bis 81 nach den Plänen von
Gropius ausgeführt wurde. Er schuf, mit einem
Wort, das Museum, wie es heute ist. Hiermit

1908. IX. 7.

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