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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Muschner, Georg: Von der deutschen Tiermalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0314

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Georg Muschner—München:

VON DER DEUTSCHEN TIERMALEREI.

Es gibt eine Lücke in der ausübenden Kunst
der Zeit, das ist die deutsche Tiermalerei,
die — nicht da ist. Gehen wir von einem kleinen
Gebiet aus: die Vogelwelt in der deutschen Kunst.
Zunächst in der Illustration. Die großen Vogel-
werke eines Brehm, Naumann, Floericke u. a.
weisen Illustrationen auf, Zeichnungen, Buntdrucke,
die der deutschen Kunst nicht würdig sind, die
weder ein hohes Niveau der künstlerischen Dar-
stellung noch eines der Reproduktion bedeuten.
Die gelehrten Ornithologen finden diese Bilder
meist vorzüglich, eine psychologische Tatsache,
die verblüfft, wenn man bedenkt, dag das die
Männer sind, die mit diesen Tieren umgehen, sie
studieren, sie kennen - müßten. Die Illustrationen
in den Büchern der Gelehrten sind meist bedenk-
liche Zeichen für das Kunstverständnis der Wissen-
schaftler. Man nehme diesen Saß nachdenklich,
man sehe daraufhin größere Publikationen durch
und schiebe die Schuld nicht auf die Verleger;
man wird dann zu der Erkenntnis kommen, daß
dem modernen Gelehrten zur Illustration seiner
Werke die Mithilfe des Künstlers fehlt. Der An-
fang einer Zusammenarbeit zwischen Gelehrten
und Künstlern ist hie und da gemacht; aber es
bleibt verwunderlich, wie wenig in einer Zeit, da
die Kunst so viele Gebiete erobert: Handwerk,
Technik, Reklame usw., wie wenig die ausübende
Kunst dies Gebiet der deutschen Tiermalerei be-
achtet. Wer das gesamte Material der deutschen
Vogelbücher durchprüft, der wissenschaftlichen
wie der volkstümlichen — und das sei dem
Kultusministerium angelegentlich empfohlen! —
der wird diese vorläufig subjektive unmaßgebliche
Meinung bestätigen. Und wer dann noch die

Tafeln durchsieht, die als Wandbilder der Schul-
jugend die Kenntnis der Vogelwelt vermitteln
sollen, der wird den Grund entdecken, warum
unser Volk, selbt die Gebildetsten, so wenig von
der Vogelwelt wissen. Die deutschen Vögel sind
glatt aus dem Auge, aus dem Bewußtsein des
Volkes geschwunden. Und das gilt, cum grano
salis gesagt, von der ganzen deutschen Tierwelt:
die Kenntnis fehlt und die künstlerische Erkennt-
nis. Es klingt absurd, in einer Zeit der neu auf-
blühenden Naturerkenntnis sagen zu müssen: der
gebildete Deutsche kennt weder Reh noch Maus
noch Meise — und doch ist es so. Er kennt sie
noch lange nicht so, wie er sie kennen könnte.
Er hat keine Ahnung von den Wundern, die hier
noch zu entdecken sind an Ausdruck, Bewegung,
Charakter, Milieu der Tiere. Und der Haupt-
grund bleibt der Mangel reifer künstlerischer
Darstellungen. Und dafür wiederum ist der Haupt-
grund, daß der deutsche Künstler diese Gebiete
nicht selbst beackert, sondern sie rückständigen
Tier-Illustratoren überläßt. Weder die Gelehrten,
noch die Verleger, noch die Schulmänner, noch
die Ministerien finden hier allein weiter; sie
werden immer eine Zeichnung nach dem Balg
oder Kadaver, die einigermaßen treu ist, für ge-
nügend erachten; der Künstler wird diese Bilder
Kitsch nennen; er liefere Ersaß. Aber seltsamer
Weise scheint es der deutsche ausübende Künstler
für unter seiner Würde zu achten, die Tierwelt
der Tierwelt wegen zu zeichnen. Im Ausland
widmen sich allererste Künstler dieser Aufgabe;
in Deutschland benußt man das Tier in der Kunst
nur zur Staffage und überläßt es Handwerkern
oder Dilettanten zur Darstellung. Die Schweizer,

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