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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Utitz, Emil: Der neue Stil: Ästhetische Glossen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0084

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DER NEUE STIL.

ÄSTHETISCHE GLOSSEN VON DR- EMIL UTITZ—PRAG.

Die folgenden Bemerkungen sind die Er-
gebnisse vornehmlich von Rundgängen
durch die Hessische Landes - Ausstellung zu
Darmstadt; doch hoffe ich, daß ihnen all-
gemeinere Geltung zukommt. Wenn man
etwas Allgemeines über die Kunst einer Zeit
oder die eines Volkes aussagt, so kann man
stets durch Einzelfälle widerlegt werden. Aber
dies ist nur eine scheinbare Widerlegung, und
nur jene wäre wahrhaft giltig, die nach-
zuweisen vermöchte, daß die Grundlinien
anders verlaufen, daß die Entwicklungsstränge
in anderer Richtung ziehen. Von solchen
Grundzügen wollen wir nun ein wenig handeln,
wenn wir versuchen, das Gemeinsame und
Charakteristische vorzuführen, das in der
reichen Schar bunter Bilder liegt, welche die
»angewandte« Kunst unserer Tage uns bietet.

Man hat in den letzten Jahren vielfach
die Frage erörtert, ob wir denn einem neuen
Stil entgegentreiben, oder ihn gar schon be-
sitzen. Meist nahm man aber als feststehend

an, wir hätten vorher — seit den seligen
Biedermeiertagen — eines Stiles ganz ent-
behrt. Doch diese Voraussetzung ist irrig.
Denn — so paradox es klingen mag — auch
in der scheinbaren Stillosigkeit kann Stil liegen,
gerade sie vermag ja der Ausdruck, und zwar
der einzig wahre Ausdruck einer suchenden,
tastenden Zeit zu sein, die ihre Ideale überall-
her borgt und sie nicht aus sich heraus gestaltet.

Das Leben hatte sich stark geändert; die
großen, technischen Errungenschaften hatten
ihm ein ganz anderes Gepräge verliehen, neue
Bedürfnisse gezeitigt, neue Sehnsüchte ge-
weckt. Und all dies ging so schnell, so
eilig, daß die Selbstbesinnung, die innere
Verarbeitung der von außen einstürzenden
Eindrücke nicht folgen konnte. Die alte
Schönheit ward zu alt, die neue sah man
nicht; sie schien erstickt im Ruß der Groß-
stadt, von der Maschinen wütender Wucht
zerstampft, betäubt vom Lärm der Straßen.
Der großen Geberde der neuen Zeit war man

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