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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

DOI Artikel:
Muschner, Georg: Kunst und Welt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0221

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KUNST UND WELT.

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Genau besehen ist jeder Mensch ein Maler.
Wie er Natur und Welt schaut, ist bestimmt
von seinen Augen, seiner Linse, seinem Gehirn.
Könnte man in diese Hirne der Einzelnen blicken,
man würde darin millionenfach verschieden ge-
färbte und geformte Bilder der Welt sehen. Und
keiner dieser Guckkasten ist gleich dem andern.
Kein Blau, kein Grün der einen Welt ist gleich
dem Blau, dem Grün der Hirnbilder der nächsten.
Jeder Mensch malt sich seine Welt aus nach
seinem Ich. Wie die Welt wirklich ausschaut,
weiß Niemand. Nur dag die Masse der Menschen
ihr Bild nicht bewußt empfindet, nicht diskutiert,
nicht gestaltet. Das tun nur die berufenen Schöpfer.

Alle Kunst ist Persönlichkeitskunst. Alle
Kunst ist Unterscheidung. Alle Kunst ist Ent-
deckung. Es ist unfruchtbar, zu streiten, was
ausschlaggebender ist: die Welt mit ihren Formen,
die Natur mit ihren Farben und Wetterstimmungen,
oder der das darstellende Künstlergeist.

Mir scheint das persönliche Moment das
wichtigere. Der Dilettant malt Kitsch, die
Persönlichkeit Kunst. Der Stümper malt Affen,
der Könner Menschen und Götter.

Unfruchtbar ist es, zu streiten, ob naturali-
stische Kunst oder symbolistische, ob dieser oder
jener Stil, ob diese oder jene Richtung Recht hat.
Naturalismus und Symbolismus sind, wie in der
Dichtkunst, so auch in der bildenden Kunst nur
die Grenzen des Schaffens; Stil und Richtung

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sind nur vorübergehende Erscheinungsformen; das
Bleibende ist die Persönlichkeits-Auffassung. Wie
dieser oder jener große Mensch die Welt schaut
und gestaltet, das ist das Bereichernde, das sind
die Entdeckungen, durch die wir weitergehen.
Das ist der tiefste Sinn der Natur, dag sie sich
in erhabenen Gehirnen immer wieder entdecken,
betätigen, formen, gestalten will. Wenn wir den
Worten, die wir für diese Dinge haben, auf den
Grund gehen, finden wir immer wieder diesen
einen Sinn: schauen heißt erschauen, dichten
heißt er- und ver-dichten, bilden heißt Bilder und
Gestalten schaffen — und immer ist ausschlag-
gebend das Wie des berufenen Ichs.

So unendlich groß der Aufschwung der bil-
denden Künste in den lerjten zehn Jahren ist, so
reich zur Zeit die Kunst wieder einmal an Indivi-
dualitäten ist: für den zuschauenden Betrachter
der Entwicklung bleibt die alte Sorge, ob diese
Wandlungen sich zu starker Persönlichkeitskunst,
zu Ewigkeitskunst erheben werden. Vor Allem
bedeuten die Popularisierung der Künste, die
Verbreitung der Kunstgebiete durch das Kunst-
gewerbe, durch die Erziehung zur Kunst große
Gefahren.

Jet3t schon malen jährlich wohl dreißigtausend
junge Leute mehr als früher und malen Studie
auf Studie. Jetzt schon malen Kinder der Münch-
ner Volksschule im Alter von zehn bis vierzehn
Jahren dekorative Entwürfe von unerhörter Hand-

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