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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Lux, Joseph August: Ein ernstes Wort über den kunstgewerblichen Nachwuchs
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0273

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CHARLES TOOBY MÜNCHEN.

»Erlegter Hirsch«.

Privatbesitz —Belli 11.

EIN ERNSTES WORT ÜBER DEN KUNST-
GEWERBLICHEN NACHWUCHS.

Wieder erhielt ich kürzlich einen Ver-
zweiflungsbrief, darin ein versprechen-
des Talent seine Seelennot schildert. Ich
sage »wieder«, weil der Fall gar nicht selten
ist. Der junge Mensch hat von dem Baum
der Erkenntnis gegessen und empfindet dumpf,
daß es mit dem bischen Talent allein
nicht vorwärts geht. So lange er an der
Schule war, sah alles hoffnungsvoll aus. Er
brachte Einfälle zu Papier, in solcher Frucht-
barkeit, in einer solchen Hitze des Produ-
zierens, daß er gar nicht merkte, daß die
Gedanken seiner Entwürfe gar nicht seine
eigenen Gedanken waren, daß sie gar nicht
ihm gehörten, sondern der Schule, seinem
Lehrer, seinen Kollegen, und daß er sie mit
der Luft einatmete, wie ein Narkotikum, das
aus seiner geistigen Konstitution wieder aus-
scheidet, sobald er sich eine Luftveränderung
verschreiben, die Schule verlassen, ein anderes
Milieu aufsuchen würde. Dann merkt er,
daß er in einem Zirkus geritten, allerlei Kunst-
stückchen gelernt hatte, daß er aber die
Kunststückchen immer nur wieder im Zirkus

verwenden kann. »Phantasie training«, das
soll die Angelegenheit der Kunstschule sein.
Aber wessen »Phantasie« ist es, die trainiert
wurde'? Die des Schülers? Nein, er ist inner-
lich leer geblieben, unwissend, unerfahren,
er ist aber mit einer eitlen Prätension an-
gefüllt. Er ist auf der »Phantasie« geritten, wie
auf einem Schulpferd, und diese Phantasie ge-
hört zum Schulinventar, das ihm nur geborgt
wurde, um unter der Aufsicht seines Lehrers
darauf zu tummeln. — Dann aber kommt er
ins Leben und soll praktisch zeigen, was er
kann. Er erlebt die ersten wohlverdienten
Mißerfolge. Ich will das nicht näher aus-
führen, obzwar ich die Gründe sehr genau
kenne. Kurz, die ernste, schwere Krisis ist
da, und es ist fraglich, ob der Patient sie
überstehen wird, das heißt, ob das Talentchen
auch ein Charakter ist, was leider nur in
seltenen Fällen zu bejahen ist.

Der junge »Künstler« hat eingesehen,
daß seine Leistungen nicht auf der Höhe der
Anforderungen stehen — ein gutes Zeichen,
daß er es einsieht — er klagt die Gesell-

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