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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Scheffers, Otto: Zum kulturellen Wert zeichnerischer Betätigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0342

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Otto Schepers—Dessau :

ARCHITEKT FRANZ EXLER WIEN.

Mädchen-Wohn- und Schlaf-Zimmer.

ZUM KULTURELLEN WERT ZEICHNERISCHER BETÄTIGUNG.

Obwohl unsere deutschen Realgymnasien, Ober-
realschulen und Realschulen hauptsächlich
auf Berufe vorbereiten, in denen das anschauliche
Vorstellungsvermögen eine große Rolle spielt, so
wird doch an ihnen der Zeichenunterricht immer
noch geringer gewertet als irgend eines der
sogenannten Nebenfächer. Die meisten unserer
„Gebildeten" wissen nichts von der enormen,
der Sprache nicht nachstehenden Bedeutung des
Zeichnens als Ausdrucksmittel in Wissenschaft
und Technik oder von dem Einfluß zeichnerischer
Betätigung auf das Vorstellungsvermögen, das
ästhetische Empfinden, die Phantasie und vor
allem das logische Denken. Vernunftgründe
vermögen bei dem gegen das Zeichnen Vorein-
genommenen nichts auszurichten. Im besten Falle
erzielt man das Zugeständnis, daß das Zeichnen
für den Talentvollen ein angenehmer Zeitvertreib
und mit Rücksicht auf „manche" Berufe auch eine
recht nütjliche Beschäftigung sei. Dafj aber
zeichnerische Vorstellungen genau so wie sprach-
liche die Handlungen eines Menschen, ja eines
ganzen Volkes, befruchtend beeinflussen und unter
Umständen richtungbestimmend für die Kultur
einer ganzen Zeitepoche werden können, ist eine

Erkenntnis, zu der sich in Deutschland recht
wenige durchgerungen haben. Um so nötiger
erscheint es, Einzelfälle, die das Faktum grell
beleuchten, immer wieder weiteren Kreisen vor
Augen zu führen. Einen solchen Einzelfall, ein
wahres Schulbeispiel für die überaus günstige
Beeinflussung eines an sich gesunden Gehirnes
durch zeichnerische Betätigung und für die tief-
greifende Wirkung eines so beeinflußten Gehirnes
auf ein ganzes Zeitalter bietet uns Leonardo da
Vinci, welcher uns durch neuere Publikationen,
z. B. durch das Eugen Diederichs'sche Buch
„Leonardo da Vinci, der Denker, Forscher und
Poet", in immer greifbarere Nähe gerückt wird.

Bei all seiner Vielseitigkeit bleibt Leonardo
stets Künstler, alle seine Überlegungen gehen
von Beobachtungen aus, die er als Maler macht;
das Resultat seiner Überlegungen ist stets wieder
eine Nutjanwendung auf die Kunst. Auf dem Wege
von der Beobachtung zur Anwendung in der Kunst
pflückt er hundert reife Früchte vom Baume der
Erkenntnis, die ihrerseits wieder die Samenkörner
für ebensoviele neue Wissensgebiete enthalten.
Er beobachtet, daß das reflektierte Grün der
Blätter bläulicher als das durchscheinende ist,

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