Buchkunst. Eine. Glosse.
gehen an trefflichen Mustern des Bücher leb ens
vorüber. So machen sie immer wieder leere,
tote und meist fratzenhafte Bücher. Nehmen
wir das vorliegende Beispiel. Ich erkläre dieses
sich als tonangebend gebärdende Werk als
durchaus verfehlt. Warum'? Weil es eine Reihe
von unvereinigten Faktoren vorstellt,
kein Ganzes. Der Prospekt behauptet, »die
rhythmisch abgewogene Liniatur halte das
ganze Seitenbild zusammen.« Ich behaupte,
diese Liniatur ist ein schrecklicher, ein witziger
Einfall, hat von Rhythmus keine Spur und
ist nicht »abgewogene, sondern planlos. Es
gibt scheinbar ähnliche Liniaturen in vortreff-
lichen Büchern bester Zeiten. Aber — es gibt
eben Flöten und — Flöten. . . Der Prospekt
weist ferner auf das »buchästhetische Wagnis
eines Gemischtsatzes« hin. Ich erkläre dieses
Wagnis als einen Aberwitz und konstatiere,
daß die ästhetische Wirkung scheußlich ist.
Noch mehr: die Typen sind nicht nur unzu-
sammengehörig, einander fremd und daher
niemals vereinbar, sondern sie haben auch
verschiedene — jedoch nicht abgewogene —
Tonstärken. Die ganze Textseite wirkt als
einer der leider bei uns üblichen »künstle-
rischen« Einfälle, die die allzu rührigen Verleger
mit Stil verwechseln. (Dieses »Künstlerische«
ist überhaupt der Krebsschaden unsrer um
allen Stil betrogenen Zeit, eine richtige Krätze.)
— Ebenso liegt der Fall bei dem Van de
Veldeschen »Fcce homo« , ebenso bei dem
Lechterscben »Shakespeare«. Möchten doch
die Deutschen wieder einmal bei den Franzosen
in die Schule gehen, nicht etwa nur den
neuesten, auch nicht den »klassischen« Alten,
sondern bei denen der gleichgiltigen 60er und
70er Jahre zum Beispiel. Man nehme eine
Luxusausgabe etwa von Jonaust! Wie anders
wirkt dies Zeichen auf mich ein! Und was
ist der Grund der unbeschreiblich vornehmen
Wirkung der Textseite?! Das Verhältnis,
die Ruhe, die von aller »Absicht« entbürdete
Sicherheit des Geratenen. Nichts als
kostbares Papier und guter Druck.
Nichts sonst — aber wie verschmolzen zum
Eindruck des Verehrungswürdigen 1
Bei uns ist man immer auf »Kultur« aus.
Welch ein Irrtum! Man hat Erziehung, das ist
alles. Und die Deutschen haben auch Erziehung
genossen —- in verschollenen Zeiten. . . Geht
in die Kinderstube eurer Tradition, fürwitzige
Kulturförderer; vielleicht lernt ihr doch noch
das Gruseln 1 . . .
Und zum hundertsten Male: zu einem guten
Buch braucht man keinen »Buchkünstler«,
sondern »bloß« — Geschmack und weiters
solide Arbeit in solidem Material. — sch.
1909. xr. 5.
291
gehen an trefflichen Mustern des Bücher leb ens
vorüber. So machen sie immer wieder leere,
tote und meist fratzenhafte Bücher. Nehmen
wir das vorliegende Beispiel. Ich erkläre dieses
sich als tonangebend gebärdende Werk als
durchaus verfehlt. Warum'? Weil es eine Reihe
von unvereinigten Faktoren vorstellt,
kein Ganzes. Der Prospekt behauptet, »die
rhythmisch abgewogene Liniatur halte das
ganze Seitenbild zusammen.« Ich behaupte,
diese Liniatur ist ein schrecklicher, ein witziger
Einfall, hat von Rhythmus keine Spur und
ist nicht »abgewogene, sondern planlos. Es
gibt scheinbar ähnliche Liniaturen in vortreff-
lichen Büchern bester Zeiten. Aber — es gibt
eben Flöten und — Flöten. . . Der Prospekt
weist ferner auf das »buchästhetische Wagnis
eines Gemischtsatzes« hin. Ich erkläre dieses
Wagnis als einen Aberwitz und konstatiere,
daß die ästhetische Wirkung scheußlich ist.
Noch mehr: die Typen sind nicht nur unzu-
sammengehörig, einander fremd und daher
niemals vereinbar, sondern sie haben auch
verschiedene — jedoch nicht abgewogene —
Tonstärken. Die ganze Textseite wirkt als
einer der leider bei uns üblichen »künstle-
rischen« Einfälle, die die allzu rührigen Verleger
mit Stil verwechseln. (Dieses »Künstlerische«
ist überhaupt der Krebsschaden unsrer um
allen Stil betrogenen Zeit, eine richtige Krätze.)
— Ebenso liegt der Fall bei dem Van de
Veldeschen »Fcce homo« , ebenso bei dem
Lechterscben »Shakespeare«. Möchten doch
die Deutschen wieder einmal bei den Franzosen
in die Schule gehen, nicht etwa nur den
neuesten, auch nicht den »klassischen« Alten,
sondern bei denen der gleichgiltigen 60er und
70er Jahre zum Beispiel. Man nehme eine
Luxusausgabe etwa von Jonaust! Wie anders
wirkt dies Zeichen auf mich ein! Und was
ist der Grund der unbeschreiblich vornehmen
Wirkung der Textseite?! Das Verhältnis,
die Ruhe, die von aller »Absicht« entbürdete
Sicherheit des Geratenen. Nichts als
kostbares Papier und guter Druck.
Nichts sonst — aber wie verschmolzen zum
Eindruck des Verehrungswürdigen 1
Bei uns ist man immer auf »Kultur« aus.
Welch ein Irrtum! Man hat Erziehung, das ist
alles. Und die Deutschen haben auch Erziehung
genossen —- in verschollenen Zeiten. . . Geht
in die Kinderstube eurer Tradition, fürwitzige
Kulturförderer; vielleicht lernt ihr doch noch
das Gruseln 1 . . .
Und zum hundertsten Male: zu einem guten
Buch braucht man keinen »Buchkünstler«,
sondern »bloß« — Geschmack und weiters
solide Arbeit in solidem Material. — sch.
1909. xr. 5.
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