Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Rezeptive Begabung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0093

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
F.. MARGOLD — WIEN GOLDPRÄGUNG EINES BUCH II A N1 'ES

REZEPTIVE BEGABUNG.

VON WILHELM MICHEL — MÜNCHEN.

Ach, sie tut uns wirklich not! Man höre
■ nur in den Reden aller zeitgenössischen
Künstler, der großen wie der kleinen: Überall
ein Notschrei nach dem, der aufnimmt, nach
dem, der durch sein Verlangen nach dem
Kunstwerk diesem und seinem Schöpfer erst
die eigentliche Autorisation verleiht. Kunst
ist ganz sicher etwas Soziales. Sie setzt ihrem
innersten Wesen nach den Zuschauer und
Zuhörer voraus. Er gehört zu ihrem Begriffe,
so gewiß dieser Begriff gipfelt in einem Deut-
lichmachen, in einem Erkennbarmachen für
Dritte. Kunst ist Mitteilungsdrang, und der
Begriff „künstlerische Gestaltung" wäre gar
nicht zu konstruieren ohne Auge und Ohr des
Rezeptiven. Aus dem Inneren ein Äußeres

1910. i. 9.

machen, daran hängt des Künstlers Herz.
Aber das Äußere, das nicht gesehen, nicht
erkannt und geliebt wird? „Du großes Ge-
stirn, was wärest du ohne die, denen du
leuchtest?" Mit diesen schopenhauerischen
Worten verläßt Zarathustra seine Höhle. Und
wie der Sonne, so geht es der Kunst. Sie
„ist" nur, soweit sie genossen wird.

Der Künstler unserer Zeit empfindet das
mit grausamer Deutlichkeit. Schon ehe er sein
Werk hinausgibt, spürt er das kalte, feindliche
Schweigen, von dem sein Werk verschlungen
werden wird. Er ist doch auch Kind seiner
Zeit, leidet unter den gleichen Leiden, die
die Tausende bewegen, freut sich an gleichen
Freuden wie sie. Er hat ein Recht zu erwar-

70
 
Annotationen