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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Hoeber, Fritz: Die Proportionalität der griechischen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0048

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BILDHAUER AUGUST VOGEL—BERLIN. Pflanzenkästen und Kübel in Terrakotta.

DIE PROPORTIONALITÄT DER GRIECHISCHEN KUNST.

VON DR. FRITZ HOEBER STRASSHURG i. E.

Das Ziel der Kunst ist die Nachahmung der sichtbaren Erscheinung
in den Beziehungen ihrer Teile, um in diesen einen wesent-
lichen Charakter herrschend zu machen. Hippolyte Taine.

Zeichnung ist Symbolik. Sie ist, wie die
Wortbedeutung sagt, eine Zeichensprache,
ein Abzug oder Abstraktion, oder ein Aus-
zug, ein Extrakt von allen möglichen Tatsäch-
lichkeiten idealer oder realer Natur, ästhe-
tischer oder ethischer Tendenz, sozialer oder
individueller Gattung, die, bevor sie zeich-
nerisch symbolisiert sind, ganz halt- und be-
griffslos im Weltenraume umhertreiben. So
ungefähr resümiert sich der Charakter der
griechischen Kunst als Illustration in ihren
Beziehungen nach außen und zum Milieu.
Der ergänzende Gegensatz zu dieser exten-
siven Relativität bildet die intensive der inne-
ren Beziehungen des abgesonderten Kunst-
werks selbst, der künstlerischen Propor-
tionen.

Die griechische Kunst ist voller Proportio-
nalität, voll jener gesetzmäßigen seelenhaften

Wechselwirkungen, die durch ihr streng ge-
schlossenes System einen harmonischen Effekt
verbürgen, und die, weil sie in ihrer Funktion
auf diesen sich berechnen, als funktionell be-
dingt bezeichnet werden. Auf diese Weise
benutzte die griechische Kunst die Natur, in-
dem sie sie nach ihrem eigenen Charakter
formte, den sie in allem Objekt naturgemäß
wiederfand. Ihre Nachahmung der Natur, um
mit Aristoteles und Taine zugleich zu reden,
beschränkt sich nur auf die Wirkungsbe-
ziehungen, auf die künstlerischen Proportionen,
die also das Wesen des Hellenen sowohl wie
der von den Hellenen betrachteten sichtbaren
Erscheinung ausmachten. Deshalb bestand
auch nicht der widerliche Antagonismus von
Natur und Stil, von Natur und Geist, der uns
ebenso geläufig ist, als er dem erkenntnis-
theoretisch indifferenten Griechentum fern lag.

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