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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0340

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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

jur.i 1910.

BERLIN. Die „Neue Secession", wie sich die
Vereinigung der siebenundzwanzig von der
„alten" Secession am Kurfürstendamm Zurück-
gewiesenen nennt, hat einige fünfzig Bilder und
Plastiken im Kunstsalon Macht zu einer Protest-
Ausstellung zusammengebracht. Wären es die
begabtesten und handwerklich tüchtigsten Künst-
ler der Zeit, die sich hier zum Kampfe stellen,
so müßte man umzulernen versuchen und sich
mit der „neuen" Bildform wohl oder übel abfin-
den. Denn es wäre ein verwerfliches und auch
nußloses Unternehmen, sich gegen die Forde-
rungen der jungen Tage anzustemmen. So ist der
neue Auszug auf den heiligen Berg eine Tat
eigensinniger Köpfe. Menschliche Sympathie wird
man den Künstlern nicht versagen, aber wer
sich als Maler so bewußt der Kritik ausseht, wird
auch die Bedenken hören müssen, die sich not-
wendig bei vielen erheben. — Soll man die
Malerei der Begabteren als dekorative Kunst an-
sprechen, die als Fresko in Oiotto ihren großen
Ahnen hat, oder ist sie Ießte Form jenes intimen
Tafelbildes in Öl, dessen Anfänge bei den Brüdern
van Eyck liegen? Wir brauchen nicht lange nach-
zudenken, sie ist keines von beiden, sondern
eine bedenkliche Vermengung der stofflichen
und formalen Geseßmäßigkeiten beider Kunstgat-
tungen, ohne daß eine „neue" Bildform geschaffen
würde. Man imitiert den Altersstil bedeutender
Ölmaler unserer Zeit wie Cezanne, van Gogh,
Eduard Münch, fängt, so jung noch und ohne Er-
fahrung, an, wo jene aufgehört haben, und er-
kennt vor allem nicht das durch Rasse, Milieu und
Persönlichkeit Bedingte bei jenen großen Vorbil-
dern. Dazu können die „neuen Secessionisten" sich
gewissen dekorativen Tendenzen der modernen
Malerei nicht entziehen. So entstehen Werke,
die man nach Stoff und Format und wohl auch
nach den Absichten der Künstler selbst zu den
intimen Ölbildern rechnen müßte, die man sich
zur Nahebetrachtung ins Zimmer hängt. Nach
der Distanz aber, in der sie zur eigentlichen
Wirkung kommen, nach Farbenskala und Mal-
weise ist es dekorative Wandmalerei, auf Fern-
wirkung berechnet. Hierüber kommt man nicht
hinweg. Wird eine einzelne komplizierte Per-
sönlichkeit von inneren Notwendigkeiten auf einen
Weg gedrängt, der zur Verschmelzung sonst ge-
trennter Kunstgebiete führt, so sind wir gewohnt,
solche Grenzverleßung als das gute Recht des
Individuums zu betrachten, wenn anders der

Künstler etwas zu sagen hat. Als Programm einer
Gruppe, die sich als die Zukunft unserer bilden-
den Kunst fühlt, wird aber solch relative Wahr-
heit zum baren Irrtum. — Von der „Berliner
großen Kunst-Ausstellung" ist so viel oder so
wenig zu sagen wie in allen früheren Jahren auch.
Unter den mehr als 2000 Werken ist dem Dilet-
tantismus allzubreiter Raum gewährt, und so kom-
men die wirklich guten Bilder und Plastiken trorj
schöner Räume kaum zur Geltung, e. bender.

£

GEWERBEPOLIZEI. Wäre der Qualitäts-
gedanke nicht so ausgezeichnet, so müßte
er unweigerlich zusammenbrechen unter der
neuesten Belastung. H. Pudor hat nämlich in
seiner Broschüre „Deutsche Qualitätsarbeit" etwas
Neues ausgedacht: das Materialkontrollamt.

Das wäre eine Gewerbepolizeibehörde, die zu
verkünden hätte, welche Materialien als echt und
welche als falsch anzusehen wären. Die Verar-
beitung unechter Materialien wird strikt verboten.
(Ist das nicht genial einfach?) Neue Materialien
dürfen nicht verarbeitet werden, ehe das Kontroll-
amt die „Konzession" erteilt hat. Alle genehmigten
Materialien werden gestempelt, damit man sieht,
daß man was „Echtes" vor sich hat. Über jedes
Stück sind beim Hersteller wie beim Verkäufer
genaue Protokollbücher zu führen. Dann wird
kontrolliert, revidiert, chikaniert usw. usw.

Wessen wir uns dabei zu versehen hätten,
beweist eine Randbemerkung über die Tapete,
die weg muß, denn sie ist weder echte Wand
noch richtiger Gobelin, also „Lumpensurrogat"!!
Das Fournieren ist nicht minder eine „Material-
fälschung", und wahrscheinlich würde uns Herr P.
wieder erzählen, daß das Färben mit nicht vege-
tabilischen Farbstoffen auch ein Verbrechen ist,
wenn ihm nicht neulich erst ein paar Fachmänner
den Unsinn widerlegt hätten.

Über diese der Industrie und den Gewerben
zugedachte Roßkur könnte man lächelnd die
Achseln zucken, wenn solche Auslassungen die
Unzufriedenen und Unerfahrenen nicht in Ver-
wirrung bringen und mißtrauisch machen könnten
gegen die ernsten Bestrebungen zur wirtschaft-
lichen und geschmacklichen Förderung der Ge-
werbe. Notwendig zur Hebung der Qualität sind
wahrlich nicht geseßliche Chikane, sondern die
pädagogische Massenaufklärung, wie sie
schon jetjt in Vereinen, auf Kongressen, Ausstel-
lungen, durch Vorträge, nicht zuleßt in den ziel-

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