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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Servaes, Franz: Etwas über Kunstbesitz
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Franz Servaes:

Zeitschriften, Broschüren, Monographien und
kostbaren Prachtwerken taxiert, analysiert,
publiziert und zelebriert werden. Daß sie über-
haupt in einem nie dagewesenen Maße von sich
reden machen. Dieses alles genügt nicht. Oder
vielmehr, es kann in jeder Hinsicht völlig ent-
behrt werden. Aber Eines tut not: daß Men-
schen da sind, die mit einem Kunstwerke zu
leben wissen. Menschen, die sich mit einem
Kunstwerke bis zu liebevoller Intimität, ja bis
zur Selbsthingabe durchdringen. Kurz Men-
schen, die einem Kunstwerk das Leben spenden.

Ein jedes Kunstwerk, das wirklich da sein
soll, wird zweimal erzeugt. Einmal in der Seele
seines Schöpfers. Und das andere Mal in der
Seele des echten Genießers. An sich ist es ja
ein totes Ding. Irgend ein Gegenstand, der
nicht dazusein braucht. Ein verschleiertes Bild
zu Sais. Ein harrendes Mauerblümchen. Aber
dann kommt der Ritter, der es liebt; der Weise,
der es enthüllt: und es fängt plötzlich an zu
blühen, zu leben — dazusein. Und das ist es,
was ich sagen wollte. Nur Den kann ich einen
Kunstbesitzer nennen, der ein Kunstwerk als
solch ein verliebter Liebhaber sein eigen heißt.
Der ihm einen Teil seiner Seele schenkt und
dafür des Kunstwerks Seele zurück empfängt.
Der derart innig mit einem Kunstwerke vermählt
ist, daß er eine spekulative Entäußerung des-
selben als Schmach und Treubruch empfinden
würde. Gibt es solche Leute heutzutage noch?
Ich fürchte, sie sind zu zählen.

So ist also der echte Kunstbesitzer nicht in
erster Linie ein Sammler. Vielleicht sind sogar
Sammler die schlechtesten Kunstbesitzer. Im
günstigsten Falle sind sie ihre eigenen Galerie-
direktoren, Beamte und Verwalter ihrer auf-
gestapelten Sammlungen, die für sie ein Prunk-
objekt sind. Ganz andere Gesichtspunkte wer-
den leitend als die der Liebe zum einzelnen
Kunstwerk. Etwa der Wunsch nach irgend-
welcher Vollständigkeit. Man will z. B. die wich-
tigsten und namhaftesten altniederländischen
Meister des 15. Jahrhunderts in Probestücken
beisammen haben. Oder man will sämtliche
Kupferstiche Dürers, möglichst in „ erstklassigen "
Exemplaren und Zuständen, bei sich vereinigen.
Oder man legt Wert darauf, sei es Meißener Por-
zellane oder sonst irgendwelche Produkte eines
lokalen Kunstfleißes in solcher Menge zusam-
menzubringen, daß man rivalisierenden Samm-
lungen immer um ein paar Dutzend oder Hundert
Nummern vorausbleibt. Ich wüßte nicht, wo-
durch sich derlei Sammler etwa von Rennstall-
besitzern unterschieden. Höchstens, daß der
Rennstallbesitzer, weil er für lebende Wesen
verantwortlich ist, mehr „Herz" haben muß

als der Magazinierer toter Kunstnummern. —
Im allgemeinen kann man, was den Sammler
angeht, sagen: je kleiner die Sammlung, desto
größer die Möglichkeit echten Kunstbesitzes; je
umfangreicher, museumsähnlicher, desto hoff-
nungsloser. Und ferner dünkt mich irgend ein
närrischer Kauz und Sonderling, der sich alte
Schwarten zusammenkauft und selig darauf
schwört, es seienlauterRembrandts undRubens,
lieber und verehrungswürdiger als ein millionen-
reicher Großkaufherr, der sich seine „Erwer-
bungen" für teueres Geld von den ersten Kunst-
autoritäten auf ihre Echtheit untersuchen und
bestätigen läßt und sie dann irgendwohin an
die Wand hängt, um die Bilder kaum je
wieder anzublicken. Mag der Erstere eine ko-
mische Figur sein, ein verblendeter Tor und nichts
weniger als ein Kunstverständiger, so besitzt er
doch immer die Gnade der Liebe, die für sein
intimes Empfinden Wunder herbeizaubert und
Rauschzustände schafft. Der Andere aber, mag
er auch seine Kennerschaft amtlich bescheinigt
erhalten und rigoros jedes Falsum oder auch
bloß Dubiosum von seiner Schwelle weisen oder
ausmerzen, er bleibt doch ewig ein draußen-
stehender Banause, der zur Kunst nicht die ge-
ringsten Beziehungen hat, weil er Kunst nicht
in sich zu erleben versteht.

Es kommt also jedenfalls garnicht auf die
Massenhaftigkeit, ja nicht einmal auf die Kostbar-
keit des Kunstbesitzes an, damit unsere Kultur-
forderung erfüllt werde, sondern lediglich auf die
innere Beziehung zwischen Besitzer und Kunst-
werk. N atürlicherweise wird diese Beziehung um
so wertvoller, je gewiegter und tiefer das ästhe-
tische Urteil ist, durch das sie hergestellt wurde.
Und zweifellos kann die Fähigkeit zu künst-
lerischem Erleben bis ins Ungeahnte wachsen,
wenn Jemand das unermeßliche Glück hat, ein
wahrhaft großes Kunstwerk sein eigen zu nennen,
und hierdurch dessen täglichen Umganges ge-
würdigt zu werden. Überhaupt ist es wichtig
und für Besitzer von kaum berechenbarem Vor-
teil, sich von Kunstwerken erziehen zu lassen.
Welcher Weg einer gewaltigen Läuterung, wenn
jemand durch tägliche, intime Andacht und Be-
trachtung von einem Kunstwerk derart empor-
geführt wird, daß er die anfängliche bloß dumpfe
Neigung langsam überwindet und zurückläßt und
sich aus dem Reiche ahnenden Instinktes zu
der seltenen Höhe vollkommenen und idealen
Begreifens und hierdurch einer abgeklärten
Kunstliebe erhebt. Aber selbstverständlichkann
es, Schönaus materiellen Gründen, nur den Aller-
wenigsten beschieden sein, an der Hand eines
zu eigen gewordenen Meisterwerkes solch dan-
tischen Weg emporzuwandeln und ganz in die

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