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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Strobl, Karl Hans: Eine moderne Wohnung in Brünn: eingerichtet von Carl Witzmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0069

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ARCHITEKT CARL WITZMANN.

Vitrine aus dem Empfangszimmer.

EINE MODERNE WOHNUNG IN BRÜNN

EINGERICHTET VON CARL WITZMANN.

LTnter den jungen Raumkünstlern Wiens hat
) sich Carl Witzmann seit einiger Zeit zu
einem der ersten Plätze durchgerungen. Mit
einer sicheren, wegfreudigen Beharrlichkeit,
ohne Hast und ohne Drängen, ohne Reklame-
sucht und mit dem frohen Gefühl einer Kraft-
natur, jenem Gefühl des Zeithabens und sich
Zeitgönnenkönnens. Zielbewußt, zäh und ehr-
lich. Es gibt noch immer Blender unter den
Wiener Raumkünstlern, Raketennaturen, die
vom neuen Kunstfrühling nicht den Wuchs, son-
dern den Auswuchs gelernt haben, die blüffende
„Originalität", den Trick des Psychologen, daß
man sich ein Kopfschütteln leichter merkt als
ein stilles, inniges Wohlgefallen. Es ist viel
Überschuß in diesen Jungen und wenig Bändi-
gung. Aber die Mehrzahl ist zum ruhigen Gleich-
maß zurückgekehrt, zur Durchdringung alter
guter Heimatstraditionen mit modernem Geist.

Zu diesen Selbstverständlichen gehört Carl
Witzmann. — Seine schlichte Aufrichtigkeit
steht jedem Möbel auf der Stirn, sie strahlt wie
aus blauen Augen aus jedem Raum, es ist der
gesunde Ausgleich der Kräfte in ihm, der neu-
zeitlichen Wesenhaftigkeit und des guten Ge-
schmackes der alten Zeit. Jene Wesenhaftigkeit
dringt auf strenge Betonung der Gebrauchsfor-
men, auf Entwicklung jedes Gerätes und jedes
Raumes aus seiner Bestimmung, gemäß dem
Materiale, dieser Geschmack gibt noch ein

Plus, den Schmuck, die Verzierung, das mehr
als eben Notwendige. Der glückliche Ausgleich
beider schafft das Behagen.

Das ist vielleicht das Charakteristische für
Witzmanns Raumkunst: daß sie aus einem be-
haglich heiteren Gemüt entsprungen ist und daß
sie auch wirkliches Behagen vermittelt.

Er gibt Wohnräume, die wirklich wohnlich
sind, eine bürgerliche Raumkunst, die wie ein
wohlgefälliges Lächeln ist. Das Gegenständliche
ist Ausgangspunkt und Ziel, das praktische Be-
dürfnis des Alltags, aber in die Formgebung
fließt der ruhige Geschmack und die Fröhlich-
keit des alten Wiens. Man wird Witzmanns
Arbeiten seelisch nicht näher kommen, wenn
man dieses gesunde Element heimischer Über-
lieferung darin übersehen wollte. Das alte Stil-
gefühl der Donaustadt wird in ihm wieder leben-
dig, es tritt jugendlich und kräftig in die neue
Zeit. Da ist nichts nüchtern und stilledern,
unter seiner Hand wird alles schmiegsam, zu-
vorkommend, herzlich und helläugig.

Im Februarheft dieser Zeitschrift sind dem
Bericht über die Ausstellung des k. k. österr.
Museums für Kunst und Industrie in Wien auch
zwei Abbildungen Witzmannscher Räume bei-
gegeben. Man merkt sogleich das Heimatsge-
fühl ihres Schöpfers. Alles ist durchaus modern
empfunden, die Lösung der Raumverteilung,
der Beleuchtungsanlage, der Wandbehandlung

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