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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Utitz, Emil: Vom Wert der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0020

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Vom Wert der Kunst.

ausfüllen, die Zeit, in der sie nicht Sklaven des
Berufes sind, sondern ihr eigenes Leben führen
und aus sich heraus frei gestalten, da gebührt
doch der Kunstfreude eine besondere Stelle.
Denn der edle Genuß, der sich da entzündet,
überragt doch wohl an innerem Gehalt weit
den Wertertrag der üblichen Lustbarkeiten.
Schon die Tatsache, daß die Kunst uns lehrt,
Dinge rein um ihrer selbst willen zu lieben
ohne Rücksicht auf praktische Nutzbarkeiten,
bedeutet doch rein vom allgemein mensch-
lichen Standpunkte eine besondere Förderung,
ein gesundes Gegengewicht gegen die mehr
oder minder egoistischen Interessen, die das
sonstige Leben zeitigt. Die Fähigkeit sich Ein-
drücken ganz hinzugeben, sie gefühlsmäßig zu
erfassen und sich so zu eigen zu machen, müssen
wir als einen nicht gering anzuschlagenden Vor-
zug betrachten, weil nur auf diese Weise ein
allseitiges, harmonisches Menschentum erblü-
hen kann. Ähnliche Gedanken schweben wohl
Konrad Lange vor, wenn er sagt: „Das Ideal
des Humanismus, alles, was an Gaben in den
Menschen gelegt ist, auszubilden, zur höchsten
Leistungsfähigkeit zu steigern, ist ohne die
Kunst nicht zu erreichen. Sie ist das Schutz-
mittel, durch welches verhindert wird, daß die
Menschen sich durch einseitige Konzentration
ihrer Gaben noch mehr spezialisieren und
schließlich das Interesse und Verständnis für
das allgemeine Menschliche verlieren." Und es
ist eine der Grundanschauungen Schillers, daß
zwischen Sinnlichkeit und Vernunft das Ästhe-
tische eine vermittelnde Stellung einnimmt, und
daß es dennoch auf die „Totalität des Charak-
ters" hinwirkt, indem es alle menschlichen
Fähigkeiten und Kräfte ihrer vollsten, harmo-
nischen Entfaltung entgegenführt.

Aber auch hier nagt wieder der Zweifel:
Kann denn dieser Segen sich nicht in Fluch ver-
wandeln, wenn durch einseitige Kunsterziehung
der Mensch des praktischen Handelns entwöhnt
wird, wenn er alle Dinge nur nach ihrer ästhe-
tischen Ausdruckskraft wertet, uns allen nur
betrachtend entgegentritt? Entsteht da nicht
etwa ein Heer von Träumern, die achtlos und
ohne Verständis an den großen Fragen des
Lebens vorübergehen? Wird nicht durch eine
einseitige Einstellung auf die Freuden, welche
die Kunst darbietet, eine Genußatmosphäre
gezüchtet, gleich einer Treibhausluft, welche
die in ihr Lebenden untauglich macht für die

kalten, schweren Stürme der Wirklichkeit?
Und so warnt denn auch einer unserer be-
kanntesten Ästhetiker Theodor Lipps: „Wir
können uns daran gewöhnen, alle Dinge nur
vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus zu
betrachten und können dabei das Mitfühlen
verlernen. Ebenso aber können wir uns
auch daran gewöhnen, alle Dinge vom ästhe-
tischen Gesichtspunkt aus zu betrachten. Und
auch dabei können wir das Mitfühlen, können
wir die Frage nach der Sorge und der Not
des Daseins und den Blick für die Aufgaben,
die in der Welt der Wirklichkeit zu erfüllen
sind, verlernen. Wir können durch einseitiges
Leben in der ästhetischen Betrachtung und
der Kunst der Wirklichkeit gegenüber roh
und gefühllos werden." Wir müssen dem hier
Vorgebrachten völlig beistimmen und es liegt
uns völlig fern, eine einseitig ästhetische Er-
ziehung zu befürworten, die naturgemäß
Gefahren und Mängel aufweist, wie jede
Einseitigkeit. Es kann also nicht unsere Ab-
sicht sein, als einziges erstrebenswertes Gut
Kunstpflege hinzustellen; die, welche derart den
Bogen überspannen, schädigen nur den guten
Kern der Sache und zeigen uns die groteske
Seite des Kunstfreundes: den Snob. Aber
eines glauben wir allerdings ganz entschieden:
daß bei der Ausbildung wertvoller mensch-
licher Anlagen auch auf die Entwicklung der
ästhetischen Fähigkeiten weit mehr Gewicht
gelegt werden sollte, als bisher; daß endlich
gänzlich aufgeräumt werden sollte, Kunst sei
ein Luxus für müßige Stunden, ein erheiternder,
angenehmer Zeitvertreib, gleichsam eine pikante
Nachspeise nach den wahrhaft kräftigenden
Hauptgerichten. Wenn wir schon bei diesem
Bilde bleiben wollen, so gehört im reich be-
stellten Mahle des Lebens der Kunst ein be-
sonderer Ehrenplatz. Von einigen ihrer mensch-
lich bedeutungsvollen Wirkungen haben wir
bereits gesprochen; aber damit ist ihr Wert
noch lange nicht erschöpft, denn es gibt wohl
kaum eine seelische Betätigungsweise, auf die
eine richtig betriebene Kunstpflege nicht von
günstigstem Einfluß sein könnte. Wie es nun
im einzelnen darum bestellt ist, davon soll in
einem späteren Essay die Rede sein, und für
diesmal wollen wir uns mit diesen allgemeinen
Ergebnissen begnügen, die nur den Fragenkreis
aufrollen, aber vielleicht gerade deshalb den
Leser zu weiterem eigenen Nachdenken anregen.
 
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