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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Westheim, Paul: Wege und Ziele der Bühnen-Ausstattung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0193

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PROFESSOR ROBERT WEISE—STUTTGART.

»Terrasse am Starnberger See«

WEGE UND ZIELE DER BÜHNEN-AUSSTATTUNG.

(FORTSETZUNG AUS DEM APRIL-HEFT.]

Es kommt uns an, über derlei Dinge mokant
zu lächeln; aber wir werden nicht dar-
über hinauskommen, daß das damalige Publi-
kum hierin eine Steigerung seiner Illusionskraft
empfand. Und darauf kommt es im Theater
doch sehr an. Jenen Leuten war der Gesamt-
eindruck, die Komposition nebensächlich —
wie sie ihnen gleichgültig war in der Architek-
tur, wo nur auf die Wiedergabe der Ornamente
geachtet wurde, oder in der Malerei, wo die
Anekdote und die anekdotischen Pointen zu-
meist die Bildeinheit sprengten —, die ein-
gebildete Genauigkeit bei der Wiedergabe von
Szenen und Geräten brachte sie zur restlosen
Hingabe an die Dichtung. Die Aufgabe des
Malers war unmalerisch, ja antimalerisch.

Man sollte meinen, daß diese Art ihre natür-
liche Widerle gung vor reinen Phantasieaufgaben
gefunden hätte. Denn woran sollte man sich
da halten?! Wider Erwarten bemühte man sich
aber gerade, solch dichterische Phantasie-Ge-
staltungen zu lokalisieren. Eine Szene wurde
ganz einfach ins Vlämische, Fränkische oder
Burgundische verlegt — und die so ausgedachte
°rtlichkeit peinlichst genau hergerichtet. Das
War im besonderen das Prinzip für die große

Oper und für die Ausstattung Wagnerscher
Werke, wo man jene Inszenierungsweise ins
Monumentale aufzurecken trachtete. Böcklin
hat bekanntlich die Aufforderung Wagners, für
ihn Dekorationen zu malen, abgelehnt, weil sein
künstlerischer Instinkt über diesen Hang zum
Detail längst hinaus war, weil er eine einheit-
liche, geschlossene, malerische Komposition
erstrebte. Seine verschiedenen Toteninseln —
eine immer gedrungener, immer kräftiger zu-
sammengefaßt, immer souveräner gegenüber
der Natur als die vorhergehende — deuten die
Richtung an, die auch auf der Bühne genommen
werden mußte, und wahrscheinlich wäre er nicht
der schlechteste Dekorateur geworden. Das
Meiningertum — wenn es sich auch bis tief in
die 90er Jahre, ja an manchen Orten bis heute
noch gehalten hat — war am Ende, weil der
Zeitgeist in anderem Boden Wurzel faßte.

Er begehrte auf wider diese Halb-, Viertels-
oder Achtels-Echtheit. Er erkannte in dem
großen Kulissenzauber den großen Trug, die
orgiastische Unwahrhaftigkeit. Hinter diesem
buntigen Schein grinste auf einmal das Leben
mit einem neuen, sorgenschweren, leiddurch-
furchten Antlitz. Proletarierfäuste zerfetzten

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