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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0225

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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

MAI 1911.

WALLOT, der am 26. Juni den 70. Geburts-
tag- begeht, ist in den legten Jahren nicht
allzu häufig- in der Öffentlichkeit genannt worden.
Den Lehrstuhl Sempers an der Dresdener
Akademie verwaltete er mit einer hingebenden
Treue, die reich, überreich an Erfolgen war. Seinem
Unterricht, der ganz auf ein großes, aufrichtiges
und lebendiges Wollen gerichtet war, verdanken
wir eine ansehnliche Schar der hoffnungsvollsten
Architekten, an ihrer Spitje den wackeren und
befähigten Wilhelm Kreis. Das beträchtliche Niveau
der Dresdener Bauten und des Dresdener Kunst-
handwerks ist nicht ohne seine weitreichende Be-
einflussung zu denken. Wallot war vielleicht des-
halb ein so fruchtbarer, ein so gern gesuchter
Lehrer, weil er selbst lange hatte herumziehen
müssen, bis er vor die rechte Schmiede gekommen
war. Er war in Darmstadt und Hannover an den
Technischen Hochschulen, war in Berlin an der
Bauakademie, später bei Strack, Luciae, Gropius &
Schmieden, um sich endlich in Oberitalien an
Palladio die Kraft zu stählen. Lange — bis ins
40. Lebensjahr — mußte er das aufgespeicherte
Können verzetteln an Privatbauten, die an der
Kaiserstraße, der Friedensstraße oder sonstwo in
Frankfurt stehen, bis ihm ein Wettbewerb endlich
den Bau des Reichstagshauses einbrachte.
Mit diesem Werk, das 1884 begonnen, 1894 voll-
endet wurde, serjt recht eigentlich die Entwicklung
der neudeutschen Architekturbewegung ein. Trotj
des ungeeigneten Geländes, trot; der widrigen Hem-
mungen, die sich ihm entgegentürmten, hat Wallot
sich, d. h. das Verlangen eines modernen Menschen
nach modernen Raum- und Konstruktionsgedanken
durchgesetjt. Während die Zeitgenossen befangen
waren in einem falsch verstandenen Hellenismus,
wollte er einen machtvollen Repräsentationsbau
entwickeln, der bei allem Respekt vor Traditions-
notwendigkeiten, 19. Jahrhundert, neudeutsch sein
sollte. Und Wallot hatte die Kraft, große Situ-
ationen zu entfalten, Baumassen von zwingender
Geste zu fügen. Man muß, um zu dem eigent-
lichen Gehalt dieses Baues vorzudringen, sich ein-
mal das Werk des Architekten herausschälen aus
dem Drum und Dran der zweifelhaften Bildhauereien
und Kunstgewerbeleien. Wallot hat sicherlich die
besten damals vorhandenen Kräfte herangezogen,
und es sagt für diese Periode genug, daß das Aller-
beste, was sie zu leisten imstande war, nach kaum
fünfzehn Jahren nicht mehr zu ertragen ist. Gerade
an diesem Reichstagskunstgewerbe kann man er-
messen, welch glücklicher Umschwung sich im

gesamten Kunsthandwerk vollzogen hat. Wie ganz
anders Wallots Architekturkönnen ohne diese Bei-
gaben zu genießen wäre, beweist das 1907 voll-
endete Dresdener Ständehaus, bei dem
Wallot sich stüßen konnte auf so bewährte Helfer
wie Kreis, Hottenroth, Groß, Gußmann, Rößler u. a.
Die da gestellte Aufgabe, an der historisch und
künstlerisch so bedeutsamen Brühischen Terrasse
zwischen eine Barock- und eine Renaissance-Archi-
tektur ein repräsentatives Bauwerk zu set3en, war
vielleicht noch schwieriger und ist gelöst worden
mit einer überlegten Meisterlichkeit, die wir an
Wallots Schaffen so hoch schälen. i>. westheim.
*

BERNSTEIN. Meerschaum und Bernstein waren
arg in Verruf geraten. Jetjt scheint wenig-
stens dem Bernstein eine fröhliche Auferstehung
zu kommen. Bei A. Wertheim und in den Salons
der Vereinigten Werkstätten sah man in diesen
Tagen mancherlei Kleingerät, Dosen, flache Scha-
len, Hutnadeln, Schirm griffe, man sah auch Schmuck-
sachen in einem seltsamen, matt-leuchtenden, alle
zarten Töne von Gelb variierenden Material. Mit
Staunen hörte man, daß das Bernstein sei. So
wenig hatten uns die knolligen Kugeln, die natura-
listischen Schneidereien und die branstigen Kurio-
sitäten, die einem bisher als Träne der Ostsee
beschert worden waren, von diesem Material er-
'warten lassen. Wie war es nur möglich, daß erst
jetjt dem Bernstein die selbstverständliche Material-
form, ein Musizieren in der Fläche, gefunden
wurde. Der Danziger Erich Stumpf, dem dies
gelang, verdient den Dank aller Freunde milder
und in Bescheidenheit charakteristischer Schön-
heit. Er macht den Bernstein wirksam dadurch,
daß er ihn gewissermaßen sich selber entdecken
läßt: seine milchige Transparenz, seine goldige
Klarheit, seine wolkigen Trübungen. Er schleift
ihn glatt und nur hier und da ein wenig facettiert,
gradflächig oder leicht gewölbt; er faßt ihn mit
Silber, Gold oder Platin; er akzentuiert ihn zum
Exempel mit Amethyst. Am besten sind die
Stücke, die möglichst schlichte, der Hand sich
einschmeichelnde Begrenzungen haben, schmale,
flache, ovale oder runde Döschen, zierliche, zart
geschweifte Fläschchen. Aber auch größere Ar-
beiten, bei denen man die technische Meisterung
des spröden Materials bewundert, zeigen die
gleiche, sinnliche Freude an dem seidigen Gelb
und dem disziplinierten Leuchten. Stumpf hat
das banale Baumharz wieder zu einem Halbedel-
stein gewandelt. — robert breuer.

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