DIE WINTER-SCHWARZ-WEISS-AUSSTELLUNG
DER BERLINER SECESSION.
Noch vor zwei Jahren klagte der Vorstand
der Secession über allzu geringes Interesse
des Publikums an den graphischen Ausstellungen.
Inzwischen hat man weiter gearbeitet; und da
es außer dieser Tugend für den Künstler keine
rentablere gibt als die des Wartenkönnens, so
hat man auch sie schlecht und recht geübt.
Schon heute ist der Erfolg entschieden. Die
Ausstellung wird gut besucht, die Verkäufe sind
über Erwarten zahlreich, und was erworben
wird, macht Künstlern und Käufern alle Ehre.
Begreiflich wird der Erfolg durch ein gegen
früher gehobenes Niveau der graphischen Pro-
duktion. Besonders die jüngeren Berliner Künst-
ler sind reifer und handwerklich tüchtiger ge-
worden ; eine Schar von jüngsten Talenten tritt
sympathisch und versprechend hervor. So ist
es für den Kritiker erfreulicher denn je, über die
Winter-Ausstellung der Secession zu berichten.
—■ Von Liebermann zeigen wir hier die ein-
zige Radierung, die er eingesandt hat. Unter den
übrigen Arbeiten (Pastellen und Zeichnungen)
ragt ein Kinderbildnis hervor. S1 e v o g t s Radie-
rungen, oft kleinsten Formats, sind außerordent-
lich graziös. Zahlreicher und auch charakteri-
stischer vertreten als beide ist Corinth. Unter
den Lithographien und Radierungen sieht man
Blätter, in denen er unbedenklich zu wenig,
andere, in denen er zu viel gibt, sodaß die Ge-
wissenhaftigkeit fast peinlich wirkt. Daneben
meisterhafte Aktkompositionen wie die Radie-
rung „Kampf". Die farbigen Lithographien zum
„Hohen Lied" sind ungleichmäßig, zum Teil
aber in der Erfindung sehr reizvoll. Von den
Zeichnungen und Aktstudien der Käthe Koll-
witz ist der hier abgebildete Kopf das Beste.
In Baluscheks 24 großen Kohlekartons „Der
Weg der Maschine" sind die künstlerischen
Probleme, wie immer, nicht restlos gelöst; am
ehesten in dem Blatt „Zur Grube", wo man
etwas von jener Monumentalität spürt, die er
erstrebt. Ganz ähnlich stand es von jeher
und steht es auch diesmal um Branden-
burg und Zille. Jeder in seiner Art hat
künstlerische Absichten und vermag doch nur
stofflich zu interessieren. In Philipp Francks
tonharten, aber dekorativ wirksamen Radie-
rungen erkennt man die laute Koloristik seiner
1912. V. 1.
355
DER BERLINER SECESSION.
Noch vor zwei Jahren klagte der Vorstand
der Secession über allzu geringes Interesse
des Publikums an den graphischen Ausstellungen.
Inzwischen hat man weiter gearbeitet; und da
es außer dieser Tugend für den Künstler keine
rentablere gibt als die des Wartenkönnens, so
hat man auch sie schlecht und recht geübt.
Schon heute ist der Erfolg entschieden. Die
Ausstellung wird gut besucht, die Verkäufe sind
über Erwarten zahlreich, und was erworben
wird, macht Künstlern und Käufern alle Ehre.
Begreiflich wird der Erfolg durch ein gegen
früher gehobenes Niveau der graphischen Pro-
duktion. Besonders die jüngeren Berliner Künst-
ler sind reifer und handwerklich tüchtiger ge-
worden ; eine Schar von jüngsten Talenten tritt
sympathisch und versprechend hervor. So ist
es für den Kritiker erfreulicher denn je, über die
Winter-Ausstellung der Secession zu berichten.
—■ Von Liebermann zeigen wir hier die ein-
zige Radierung, die er eingesandt hat. Unter den
übrigen Arbeiten (Pastellen und Zeichnungen)
ragt ein Kinderbildnis hervor. S1 e v o g t s Radie-
rungen, oft kleinsten Formats, sind außerordent-
lich graziös. Zahlreicher und auch charakteri-
stischer vertreten als beide ist Corinth. Unter
den Lithographien und Radierungen sieht man
Blätter, in denen er unbedenklich zu wenig,
andere, in denen er zu viel gibt, sodaß die Ge-
wissenhaftigkeit fast peinlich wirkt. Daneben
meisterhafte Aktkompositionen wie die Radie-
rung „Kampf". Die farbigen Lithographien zum
„Hohen Lied" sind ungleichmäßig, zum Teil
aber in der Erfindung sehr reizvoll. Von den
Zeichnungen und Aktstudien der Käthe Koll-
witz ist der hier abgebildete Kopf das Beste.
In Baluscheks 24 großen Kohlekartons „Der
Weg der Maschine" sind die künstlerischen
Probleme, wie immer, nicht restlos gelöst; am
ehesten in dem Blatt „Zur Grube", wo man
etwas von jener Monumentalität spürt, die er
erstrebt. Ganz ähnlich stand es von jeher
und steht es auch diesmal um Branden-
burg und Zille. Jeder in seiner Art hat
künstlerische Absichten und vermag doch nur
stofflich zu interessieren. In Philipp Francks
tonharten, aber dekorativ wirksamen Radie-
rungen erkennt man die laute Koloristik seiner
1912. V. 1.
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