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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Breuer, Robert: Zwischen Gotik und Rokoko
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0474

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ALFRED LORCHER—STUTTGART.

»SITZENDE WEIBLICHE FIGUR« GIPS.

ZWISCHEN GOTIK UND ROKOKO.

Nichts zeigt so gut, wie die neue deutsche,
aus Frankreich kommende Plastik, daß
das Formgefühl unserer Tage um Gotik und
Rokoko seine Bahnen zieht. Die Eisenkon-
struktion ist Gotik; das Ornament der Wiener
ist Rokoko. Gotik und Rokoko haben das ge-
meinsam, daß sie durch konstruktive Logik die
Materie vernichten; der Spitzbogen überwindet
die Mauer, das Rahmen- und Rankenwerk wan-
delt die Wand in eine Illusion. Der zur Höhe
stoßende Gewölbepfeiler ist ein Äußerstes an
Tragfähigkeit bei letzter Minderung des Volu-
mens. Die bewegten Beine eines Fauteuils
ironisieren mit kokettem Mut die Grenzen der
Standfestigkeit. Und nun denke man an die
Turbinenhalle des Peter Behrens oder an Möbel
von Pankok: die Vitalität von Gotik und Rokoko
ist offenbar. Aber auch die Geistigkeit dieser
beiden germanischen Träume. Die Gotik hebt

sich zur Mystik der Seele. Auch in der Pathetik
des Behrens schwingt die Sehnsucht zum Trans-
cendentalen; auch Pankok, Endeil und van de
Velde wollen den erfühlten Rhythmus. Wir
stehen zwischen Gotik und Rokoko. Das deu-
tet uns Rodin mit verwirrender Gewißheit.
Was sind die „Bürger von Calais" anderes, als
wieder visionär gewordene Figuren der Heiligen
von den Kathedralen. Was ist das „kauernde
Weib" anderes, als eine erschütternde Neuge-
burt der wasserspeienden Dämonen. Was aber
wäre die neue deutsche, aus Frankreich ge-
kommene Plastik ohne Rodin, Maillol und Minne.
> Wer an das Erwachen der Gotik im Schatten-
gewirk der eisernen Rippen nicht glauben will,
muß, wenn er ein Fühlender ist, durch die junge
Schar der Haller, Lehmbruck, Engelmann,
Albiker und Gerstel überzeugt werden. Wer
konnte Lehmbrucks „Kniende" ansehen, ohne

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