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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Michel, Wilhelm: Das Weltanschauliche der Neuen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0047

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DAS WELTANSCHAULICHE DER NEUEN MALEREI.

VON WILHELM MICHEL—MÜNCHEN.

Weltanschauung? Die Maler der älteren
Generation hatten für das Wort fast nur
ein Lachen. Das Geschlecht der Sezessions-
gründer wuchs unter dem Dogma auf: Was
nicht Malerei ist, geht uns nichts an, Weltan-
schauung ist für die, die nicht gestalten können,
Spintisieren ist gut als Lückenbüßer des Kön-
nens. Aber diese paradiesischen Zeiten sind
v°rbei, die Zeiten, da der Maler ein Naturkind,
ein Adam an denkerischer Unschuld war und
noch nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen
atte. Andere Zeiten sind gekommen und die
Weltanschauungen stehen hoch im Kurs. Die
\Y/ V°m anem seligmachenden Können ist ins
wanken geraten. Können ist etwas Objektives
und mißt sich an außerindividuellen Maßstäben,
folgerichtig treten jetzt subjektive Maßstäbe
auf; was einer in sich hat an eingeborener Idea-
ltat, an autochthoner Metaphysik, das ent-
scheidet, das macht Wert und Unwert aus. —
Die neue Malerei ist eine neue Weltanschau-
ung- Die künstlerisch formalen Ziele des

neuen Strebens sind durch Wort und Beispiel
hinlänglich klargestellt: Vereinfachung, Linien-
magie, Farbensymbolik, Aufspürung des Ge-
setzes im Zufälligen, Herausstellung des Schemas
im unabsehbaren Formenwirrwarr, Befreiung
von der Tyrannei des Modells, Ausschaltung der
objektiven Bestimmungsgründe des Schaffens,
direktestes Sprechen von Subjekt zu Subjekt,
einfachste, ichkräftigste, naturlautarlige Weise
des Ausdruckes. Aber all diese heftige Sub-
jektivität trifft sich in einem gemeinsamenGrund-
gefühl des Lebens. Ist es nicht sonderbar, daß
diese revolutionäre Befreiung des Subjektes
nicht den Kampf aller gegen alle entfesselt hat,
daß die Befreiten sich wie in einem geheimen
Einverständnisse auf dem Boden einer einheit-
lichen Grundstimmung den größten Fragen ge-
genüber zusammengefunden haben? Das be-
weist, daß das, was bei dieser Befreiung ans
Licht wollte, nicht Anarchie und Zügellosigkeit
war, sondern in der Tat eine neue Weltanschau-
ung. Und sucht man nach einem Worte, diesen

HEINR. BEECKE-
STR ASSBURG.

GEMÄLDE
»IM FENSTER«
 
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