Kunstwahrheit und Naturwahrheit.
GOLDSCHMIED
THEOD. WENDE.
dieses Begriffes kommt,
der den verschiedensten
Deutungen freien Spiel-
raum läßt. Bisweilen
ist es nur die brennende
Intensität des Naturer-
lebens, die einenKünst-
ler in seinWerk peitscht,
und er denkt dann häu-
fig, nur ein Stück Na-
tur zubieten; dabei hat
er aber seine eigene
Naturergriffenheit mit-
gemalt, die flammend
aus dem Bilde entge-
genleuchtet, und erst
die Photographie offen-
bart den ganzen Unter-
schied. Im übrigen gibt
es genug Künstler, die
sich dieses Unterschie-
des wohl bewußt sind;
und es ließen sich zahl-
reiche Äußerungen von
Goethe, Anselm
Feuerbach, Dela-
croix, Max Lieber-
mann, Rodin usw.
hier anführen. Also
sicherlich ist der Glau-
be an die allein selig-
machende Gewalt des
Naturalismus auch un-
ter Künstlern nicht all-
gemein verbreitet, ob-
GOLDSCHMIED THEODOR WENDE. »SILBERNER POKAL«
»SILBERNES
FÜLLHORN«
gleich noch ein — bis-
her nicht erwähnter und
sehr wichtiger — Grund
diesen Irrtum begünsti-
gen hilft. Gesetzt den
Fall, es ringen zwei
Künstler um das an-
schauliche Wesen einer
Landschaft. Der eine
wähnt es im Erhaschen
der momentanen Er-
scheinung zu erjagen,
in der Augenblicksim-
pression, der dann das
Werk Ewigkeit verlei-
het. Er wird alle Züge
besonders betonen, die
gerade diese Impression
individualisieren, also
in ihrer Einzigartigkeit
begründen. Der andere
erblickt in all den vom
Augenblick herrühren-
den Erscheinungs - Be-
standteilen Zufälligkei-
ten, welche die Gesetz-
mäßigkeit des Eindrucks
beeinträchtigen, also
Trübungen, Hemmun-
gen , die ausgemerzt
werden müssen. Ergibt
in seinem Werk nur die
bleibende unveränder-
liche Struktur, und in
ihr erschaut er das
GOLDSCHMIED
THEOD. WENDE.
dieses Begriffes kommt,
der den verschiedensten
Deutungen freien Spiel-
raum läßt. Bisweilen
ist es nur die brennende
Intensität des Naturer-
lebens, die einenKünst-
ler in seinWerk peitscht,
und er denkt dann häu-
fig, nur ein Stück Na-
tur zubieten; dabei hat
er aber seine eigene
Naturergriffenheit mit-
gemalt, die flammend
aus dem Bilde entge-
genleuchtet, und erst
die Photographie offen-
bart den ganzen Unter-
schied. Im übrigen gibt
es genug Künstler, die
sich dieses Unterschie-
des wohl bewußt sind;
und es ließen sich zahl-
reiche Äußerungen von
Goethe, Anselm
Feuerbach, Dela-
croix, Max Lieber-
mann, Rodin usw.
hier anführen. Also
sicherlich ist der Glau-
be an die allein selig-
machende Gewalt des
Naturalismus auch un-
ter Künstlern nicht all-
gemein verbreitet, ob-
GOLDSCHMIED THEODOR WENDE. »SILBERNER POKAL«
»SILBERNES
FÜLLHORN«
gleich noch ein — bis-
her nicht erwähnter und
sehr wichtiger — Grund
diesen Irrtum begünsti-
gen hilft. Gesetzt den
Fall, es ringen zwei
Künstler um das an-
schauliche Wesen einer
Landschaft. Der eine
wähnt es im Erhaschen
der momentanen Er-
scheinung zu erjagen,
in der Augenblicksim-
pression, der dann das
Werk Ewigkeit verlei-
het. Er wird alle Züge
besonders betonen, die
gerade diese Impression
individualisieren, also
in ihrer Einzigartigkeit
begründen. Der andere
erblickt in all den vom
Augenblick herrühren-
den Erscheinungs - Be-
standteilen Zufälligkei-
ten, welche die Gesetz-
mäßigkeit des Eindrucks
beeinträchtigen, also
Trübungen, Hemmun-
gen , die ausgemerzt
werden müssen. Ergibt
in seinem Werk nur die
bleibende unveränder-
liche Struktur, und in
ihr erschaut er das