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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Steffin, K.: Antike und moderne Vasen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0464

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ENTW. UND AUSFÜHRUNG: HÜBEL & DENK-LEIPZIG. »DUNKELROTER SAFFIAN-BAND MIT VERGOLDUNG«

ANTIKE UND MODERNE VASEN.

Die Vase, das Zierstück schlechthin, ist
dem Beschauer und Käufer zunächst ein
unabänderlich Gegebenes, bestenfalls Ursache
reichen Genusses, aber immer Objekt; — für
den Kunstgewerbler jedoch, weil zuerst und zu-
meist der Gegenstand, an dem sich das Talent
des Künstlers übt, ein besonders wertvolles
Zeugnis für den Geist der Zeit.

Noch bis in unsere Tage hinein gab die antike
Vase das Musterstück ab, aus deren Form sich
alle anderen entwickelten, bis die Bekanntschaft
mit ostasiatischer Kunst, auch in diesem Be-
reich aufmunternd und befruchtend, den Anstoß
gab zu den mannigfaltigen Schöpfungen der
neuesten Zeit.

Die Alten erfanden mit der ihnen eigenen
Sicherheit jene einzigartigen Formen, deren ge-
setzmäßige Linie unbewußt an die Unwiderleg-
barkeit mathematischer Sätze gemahnt. Des-
halb werden sie stets, noch in den fernsten
Zeiten, das gebildete Auge zur Besinnung
bringen und beruhigen. Eine antike Vase,
da bei ihr Verzierungen und Farbe der Form
durchaus Untertan ist, steht da, als ob Mutter

Natur selber sie habe wachsen lassen. Man
kann nicht oft genug wiederholen, daß die An-
tike nun einmal Typen sondergleichen hervor-
gebracht hat: den Maßstab für den Geschmack
— aber nicht für uns, wie es scheint? Ist nicht
der Mensch der Neuzeit im Begriff, sich von der
Herrschaft des klassischen Geistes zu befreien?

Denn mit Begierde ergriff er den Anstoß,
welchen japanische Kunst gab, um sich an ihrer
Hand aus dem Gebiet des Gewohnten in das
ansprechendere Reich des Rätselhaften und Bi-
zarren zu begeben. Was in japanischen und
chinesischen Vasen angedeutet ist: Gestaltung
aus Feinfühligkeit, — das wird zum bestimmen-
den Faktor in den Händen der neu- europäischen
Künstler. Das einzige Gemeinsame der grund-
sätzlich verschiedensten Stücke ist: das Stehen-
können vermöge des Schwergewichts; der Reiz
aber und die Schönheit neuer Vasen liegt darin,
daß die Form der Farbe entgegenwirkt, die Ver-
zierung der Form, um diesen Schwerpunkt dem
Auge mehr zu verbergen als zu verdeutlichen.
Es s o 11 eben diesen Punkt nicht mühelos ablesen
können, es soll zweifeln, tasten, rätselraten. . .

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