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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Michel, Willhelm: Der Tod des Ästheten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0075

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DER TOD DES ÄSTHETEN.

Von den Zeitgenossen wenig beachtet, hat
sich ein Ereignis vollzogen, das einiger be-
gleitender Worte wohl wert ist: Der Tod des
Ästheten. Ja, viele haben sein Ableben gar-
nicht bemerkt. Und doch hatte er so viele Jahre
hindurch die Witzblätter bevölkert, die Kaffee-
häuser mit seinen gewagten Kunst-Gesprächen
erfüllt und oft auch in der ernsthaften künst-
lerischen Produktion seine Spuren gezeigt. Wie
lange er überhaupt gelebt hat? Wann er ge-
boren wurde? Schwer zu sagen. Wir wissen
nur, daß z. B. Oskar Wilde einer seiner haupt-

sächlichen Wortführer war, daß er, der Ästhet,
bis vor kurzem als Vertreter einer vielfach an-
erkannten Weltanschauung gelten konnte und
daß er jetzt — dies wissen wir am sichersten —
tot ist, endgültig tot. Die ganze Zeit würde ihn
widerlegen, wenn er sich jetzt, in diesen Tagen
harter Männlichkeit, noch einmal unter die
Lebenden mischen wollte. Denn Ästhet, das
bedeutete ja den äußersten Gegensatz von
allem, was wir heute in uns und um uns er-
leben : Kultus der Schönheit ohne Einschrän-
kung, Ablehnung jeder sittlichen Wertsetzung,
 
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