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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Breuer, Robert: Zu einigen Bildern der Mai-Ausstellung, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0315

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ZU EINIGEN BILDERN DER MAI-AUSSTELLUNG-BERLIN.

Wenn die Methaphysiker des Jahres 3000
sich veranlaßt sehen sollten, geistreiche
Worte über die deutsche Malerei vor dem Aus-
bruch des Wellkrieges zu machen, so werden
sie wahrscheinlich von einer prophetischen Be-
gabung der Pinsel sprechen. Sie werden fest-
stellen, daß der skeptische, vorwiegend die
Analyse pflegende Impressionismus plötzlich,
durch eine nicht recht feststellbare Ursache sich
in ein optimistisches Pathos, in eine dramatisch
erregte Bejahung, in aufwallende Gesten und
in gefühlüberschwengliche Dramatik verwan-
delt hat. Die braven Methaphysiker von 3000
(falls es dann dergleichen überhaupt noch geben
sollte) würden mit solcher Auffassung nicht
gerade Unsinniges sagen ; aber sie würden doch
Erscheinungen, die wir heute jedenfalls nur als
zufällig bewerten können, zu hoch einschätzen.
Sie würden (was, von uns aus gesprochen, noch
wichtiger ist) die Spannung zwischen dem na-
turalistischen Impressionismus und dem pathe-

tischen Expressionismus übertreiben. Es ist ja
gar nicht so, daß Liebermann und vor ihm schon
Manet ohne ausdruckgierige Leidenschaft ge-
malt hätten. Im Impressionismus ist von jeher
der Wille zur beseelten Form wirksam gewesen.
Der Streit der beiden Lager ist letzten Endes
nichts anderes als ein Gequirl von Vokabeln,
als einer jener uralten Proklamationskriege, die
jeweils von der Jugend gegen die Väter, aber
auch umgekehrt geführt werden. Immerhin, die
Methaphysiker von 3000 werden vor der rätsel-
haften Erscheinung stehen , daß kurz vor dem
Losbrechen des großen Weltengewitters, da
das Pathos sozusagen eine Tagesnotwendigkeit
geworden war, die deutsche Malerei sich aller-
dings vom ironischen Individualismus zu einer
gewissen Gattung der religiösen Schwärmerei,
der philosophischen Tiefsinnigkeit, der schmerz-
haft bewegten Lyrik und der transzendental
erhitzten Dramatik verwandelte. Die Zusam-
menhänge sind gewiß merkwürdig; wir ahnen

XVIII. August 1915. 1
 
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