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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Hildebrandt, Hans: Die zweite Sommer-Ausstellung der Münchener "Neuen Secession"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0321

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Die zivcite Sommer-Ausstellung der Münchener -»Neuen Secession«.

Rolf von Hoerschelmann erfreut bei
seinen phantastischen Zeichnungen schon durch
die ästhetische Reizwirkung der Strichführung.
L. H. Jungnickels Tier-Radierungen ver-
binden Rhythmik mit bewegtester Lebendig-
keit. Werner Schmidt offenbart aufs neue
seine ungemeine Begabung für malerische Hell-
Dunkel - Behandlung. Dem Wunsch Jung-
hans', in seiner Architeklur-Radierung „Gotik"
die Mystik des Mittelalters aufleben zu lassen,
ward keine restlose Erfüllung. Prachtvoll ker-
nig und echt wirken die schlichten, starken
Skizzen, die Adolf Jutz von der Front ge-
sandt hat. Georg Birnbacher müht sich
vergebens, die Wirklichkeit in kubistischem
Sinn umzugestalten.

Vom Simplizissimus haben sich drei seiner
Hauptmitarbeiter beteiligt: Gulbransson, Heine
und Wilhelm Schulz. An den Abbildungen der
meisten hier ausgestellten Arbeiten hatten wir
alle uns schon ergötzt. Die volle Kunstleistung
spricht aber doch erst aus den Originalen.
Gulbranssons geistvolle Persiflage auf die
moderne Kriegskunst wie Heines „Kartoffel-
wucherer" sind Meisterstücke ersten Ranges.
Th. Th. Heine hat außerdem eine grotesk-
phantastische Serie von „Judith"-Zeichnungen
und mehrere Bilder beigesteuert, deren Mehrzahl
freilich, noch den 90er Jahren entstammend,
mit den Bestrebungen der „Neuen Secession"
nichts gemein hat. Doch interessiert ein Herren-
porträt durch die bewußte Umdeutung holbei-
nischer Bildnisauffassung in modernen Geist.

Auch Gäste haben sich eingefunden. Vor
allem aus Berlin. Leider fast ausnahmlos mit
Arbeiten, die nicht zu ihren besten zählen, was
ebenso sehr im Interesse der Gesamtwirkung
der Ausstellung wie im eigenen der Künstler
zu bedauern ist. Erich Heckeis phantastische
„Fördelandschaft" erreicht nicht entfernt das
verwandte Gemälde „Gläserner Tag" auf der
Wiesbadener Ausstellung, die Gemälde des
farbenbegabten Oskar Moll sind völlig kom-
positionslos, und Max Pechsteins Arbeiten
erzählen fast durchweg mehr von dem brutalen
Können als von dem Malerinstinkt dieses star-
ken, aber nicht allzu selbstkritischen Künstlers.
Dagegen erfreuen Georg Greve-Lindaus
sachliche und dabei formbeherrschte Zeich-

nungen aus dem Feld, sowie Pascins raffi-
nierte Aktzeichnungen, in denen die Pariser
Tradition nachklingt. Max Beckmann hat
nur Graphik ausgestellt. Sie trägt deutlich die
Spuren seiner allmählichen Wandlung vom Im-
pressionisten zum Expressionisten. Besser
schneiden die Österreicher ab: Oskar Ko-
koschka mit einer phantastisch-unwirklichen,
ganz aus Grün und Blau gewobenen Landschaft
und Georg Kars mit einem großen Stilleben,
das jedoch an Reiz der Linie wie der Farbe
von der kleinen „Terrasse" noch übertroffen
wird. Franz Nölken in Hamburg hat nicht
gehalten, was er auf der 1. Sommerausstellung
versprach: Was er bietet, ist weder folgerich-
tiger Naturalismus noch bewußte Bildgestaltung.
Dagegen erreicht Frieda Lutz, Sonnenberg,
in ihrer Landschaft eine reine Bildwirkung.
So klein die zwei Bildskizzen des Stuttgarters
Josef Eberz sind, deuten ihre eigenartige
Rhythmik und ihr Farbenreiz doch an, daß
sie ein Künstler mit echter Begabung für das
„Bild" geschaffen hat. Louis Moilliets „Ge-
fecht" gemahnt in seiner lauten, aber har-
monischen Buntheit an die Farbenträume des
hochbegabten Macke, der im Westen fiel. Ra-
dierungen des Cölners Franz M. Jansen deu-
ten auf eine schöne Begabung für malerische
Hell-Dunkel-Verteilung hin.

Die Plastik tritt zahlenmäßig erheblich zu-
rück. Dafür findet sich aber auch kein einziges
geringwertiges Stück in der Ausstellung. Und
wieder stehen Künstlern, die nach einem Aus-
gleich zwischen Kunst und Natur unter der Ober-
in errschaft der Kunst streben — Bernhard
Bleeker, München, und Paula Riezler, Stet-
tin — reine Stilisten, Edwin Scharff und
Wilh. Lehmbruck, gegenüber. Die Porträt-
büsten Bleekers sind ganz Form und ganz Leben.
Die Bildwerke und Radierungen Lehmbrucks
offenbaren aufs neue, wie sehr dieser Künstler die
Form zu beseelen versteht. Der Instinkt für
plastische Gestaltung wie für Rhythmisierung
der Form spricht schon aus Scharffs älteren
Bildern, mit voller Überzeugungskraft aber
doch erst aus den späteren Werken wie der
„Sitzenden Frau" (Terrakotta) und aus der
ergreifenden Büste seines im November 1914
gefallenen Bruders. . . . dr. hans hildebrandt.

x'x. August 1916. 2*
 
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