Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

DOI Artikel:
Corwegh, Rob.: Eine vergessene Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0366

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EINE VERGESSENE KUNST.

Plinius erzählt, Alexander der Große habe
ein Verbot erlassen, daß kein anderer als
Apelles ihn malen solle, nur Lysipp seine Statue
bilden und allein Pyrgoteles ihn in Stein schnei-
den dürfe. So hoch in Ehren stand damals die
Kunst des Stempelschnitts, sie wird neben der
Malerei und Bildhauerkunst als gleichwertig
erwähnt. Diese Schätzung behielt Stempel- und
Steinschneidekunst während der Renaissance
und erlebte noch eine Nachblüte um die Wende
des 18. Jahrhunderts, da die Barone Stosch u. a.
Sammlungen antiker Steine und Schaumünzen
anlegten, und dem stets hilfsbereiten Gewerbe
der Fälscher Gelegenheit boten, seine Tüchtig-
keit zu entfalten. Damals siegelte jedermann
seine Briefe und suchte durch ein besonders
schönes Petschaft schon von außen dem Schrei-
ben die Bedeutung seines Inhalts aufzudrücken.
Der gummierte Briefumschlag hat uns das Pet-
schaft vergessen gelehrt, und die Kunst in Ver-
fall gebracht. — Durch einen Zufall scheint sie
in dem alles umwertenden Kriegsjahr wieder
zu erwachen. — Der Maler und Bildhauer
Hans Wildermann (geb. 21. Februar 1884), ein
Künstler, der noch nicht die allgemeine An-
erkennung trotz seiner Viel-
seitigkeit gefunden hat, die er
verdiente, wurde im letzten
Jahre zu einer Landsturm-
kompagnie nach München ein-
gezogen und stand mit dem
Graveur Franz Müller im
gleichen Gliede. Aus Kame-
radschaft nahm er Anteil an
dem Berufe seines Stuben-
genossen und endlich ent-
standen in gemeinsamer Ar-
beit sechs Stempel mit Stahl
unmittelbar ins Metall ge-
schnitten, von denen wir

HANS WII.DEKMANN. -BRIEF-SIEGEL

einige Abdrücke im Bilde wiedergeben. —
Der heutige Graveur schneidet Monogramme,
Initialen und hier und da ein kleines Ornament.
Vom Ornamentalen mußte daher Ausgang ge-
nommen und später die menschliche Gestalt
gleich einem Ornament in der Fläche entwickelt
werden. — Auf den glücklichen Versuch mit
einem dem Stilornament nahestehenden Vor-
wurf folgte die erste figürliche Darstellung,
ein Adler auf kristallinischem Gestein. Was
bei der Tiernachbildung geglückt war, wurde
nun auf die menschliche Gestalt übertragen.
Ein stehender Jüngling mit Fackel für den Ver-
leger Gustav Bosse in Regensburg gelang und
führte zu dem Wagnis Reiter und Roß, ein
Weihegeschenk für Poseidon, in die Relief-
ebenen zu graben. Für mich bedeutet dieses
Petschaft bereits einen Höhepunkt. Die Ein-
fühlung von Roß und Reiter in das Rund, die
Ruhe der Linien, die richtige Schichtung der
Reliefebenen hat eine Vollendung erreicht, als
ob die lange Entwicklung vergangener Jahr-
hunderte in dieser Kunst nie unterbrochen
gewesen wäre. Dieser gelungene Wurf ver-
anlaßte den Künstler zu der Kühnheit auch
starke Bewegung trotz des
Hindernisses, das in der Be-
schränkung durch die gerin-
gen Tiefenunterschiede der
Schichten liegt, im Metall
wiederzugeben. Seine letzte
Arbeit, in wenigen Stunden
vollendet, Herkules mit dem
Löwen ringend, spricht dafür,
wie erweiterungsfähig, wie
reich diese Technik ist, und
daß es nur der Künstlerhände
bedarf, um die vergessene
Kunst wieder zu alter Blüte
zu heben.

DR. ROB. CORWEGH.
 
Annotationen