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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Behne, Adolf: Nähe und Ferne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0219
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ARCHITEKT HERMANN MUTHESIUS.

»HAUS RASCH« SEITENANSICHT.

„NÄHE UND FERNE".

VON DR. ADOLF BEHNE.

Ein Gesetz der Trägheit gibt es auch in der
Kunstbetrachtung. Ja auch mancher nicht
ganz zielsichere Künstler verfällt der Macht die-
ses Gesetzes. Wenn wir Dinge, nur weil sie uns
seit langem rings umgeben, schon für innere
Notwendigkeiten halten, obgleich sie nur zeit-
lich bedingte Übereinkunft sind, so dürfen wir
das wohl unter das Trägheitsgesetz nehmen.

Macht der Gewohnheit! Viel größer ist diese
Macht, als wir gewöhnlich glauben. So manches
läßt sie als unantastbares Gut erscheinen, was
lediglich Konvention ist. Beispielsweise sind
die Beziehungen zwischen Malerei und Per-
spektive noch getrübt für die Erkenntnis durch
ein unphilosophisches Fürwahrnehmen schein-
barer Selbstverständlichkeiten — die durchaus
keine Selbstverständlichkeiten sind. Überhaupt
gibt es Selbstverständlichkeiten in der Kunst
nicht, und gerade die naheliegendsten der so-
genannten Selbstverständlichkeiten sind oft,
weil sie fast stets unbewußt angenommen
werden, Bekenntnisse, über deren Tragweite
der Künstler selbst wohl erstaunen mag.

Ich will das am erwähnten Beispiel, der Per-
spektive, hier näher erläutern.

Ist ein Bild perspektivisch gemalt, so wird
das — weil „selbstverständlich" ! — kaum noch
empfunden. Daß der Maler die Landschaft
perspektivisch gibt, wird zu den belanglosen
technischen Nebendingen, wie Pinselwaschen
und Grundieren gerechnet. Man glaubt, daß
die eigentliche künstlerische Arbeit erst da-
hinter beginne. Es machen ja doch alle so,
Tausende ringsum! Also, lautet der Schluß,
wird es wohl eine Notwendigkeit sein. — Ein
Trugschluß! Wohl gibt es in der Kunst tiefe,
unentrinnbare Zwangsläufigkeiten. Doch sind
diese im Innerendes künstlerischen Individuums
wirksam, das niemals und nimmer dem Rhyth-
mus seines Blutes untreu werden kann. Keiner-
lei Zwangsläufigkeit aber gibt es im Verhalten
des Künstlers zur Wirklichkeit. Da ist schlecht-
hin alles in seine Wahl gestellt. Nun hängt es
aber mit dem ganzen naturalistischen Charakter
der landläufigen Ästhetik zusammen, daß wir
die Wahl des Künstlers in ihrem Umfange und
 
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