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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Wolzogen, Ernst von: Grossherzog Ernst Ludwig als Wecker und Förderer künstlerischer Bestrebungen: anlässlich des 25 Jährigen Regierungs-Jubiläums. 13. März 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0376
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das deutsche Kunstgewerbe einen Höhenpunkt erreicht hat, um den uns das ganze
Ausland, insbesondere England beneidet, so ist das nicht zulegt das große Verdienst
der hochherzigen Kunstbestrebungen des Großherzogs Ernst Ludwig.

Es war bedauerlich, aber bei der Ungleichheit so eigenwilliger Persönlichkeiten
unvermeidlich, daß die Kolonie schon bald nach jener ersten Ausstellung zerfiel. Der
hochbegabte Patriz Huber starb allzufrüh, Peter Behrens, Christiansen, Habich,
Bosselt und Bürck folgten verlockenden Berufungen in Wirkungskreise, wo ihnen
eine ertragreiche Ausnußung ihres Könnens winkte. Einzig der Wiener Meister
Olbrich behauptete das Feld, weil er nicht nur der vielseitigste und leichtest Schaffende
unter den sieben Kolonisten, sondern auch mit einer seltenen Geschäftsklugheit begabt
war, die ihn auch außerhalb Hessens lohnende Aufträge finden ließ. An die Stelle
der Ausgeschiedenen traten neue Kräfte von vielleicht weniger draufgängerischer
Eigenart, die aber dafür ein harmonisches Zusammenarbeiten, eine ruhige Entwicklung
verbürgten. Vincenz Cissarz, Paul Haustein, F. W. Kleukens als Graphiker,
Heinrich Jobst als Bildhauer, Albin Müller als Architekt, Ernst Riegel als
Goldschmied arbeiteten in schöner Eintracht nebeneinander und verhalfen der zweiten
Ausstellung im Jahre 1908 zu einem von keiner Seite mehr ernstlich bestrittenen
Erfolg. Olbrich hatte neben seinen wunderlichen Hochzeitsturm das stolze städtische
Ausstellungsgebäude auf den Gipfel der Mathildenhöhe gestellt. Und in diesem
Gebäude wurden nun auch Werke der reinen Kunst, die nicht nur von Kolonie-
mitgliedern herrührten, zur Schau gestellt, während die von Olbrich, Albin Müller
und andern herrührenden, teils dauernden, teils provisorischen Wohngebäude mit
ihrer Innenausstattung wie 1901 den Hauptbestand der Schau bildeten. Der stürmische
Übermut hatte sich ausgetobt, und das Gesamtbild der Ausstellung bedeutete die
schier restlose Erfüllung aller modernen kunstgewerblichen Bestrebungen, nämlich dem
modernen deutschen Menschen Wohnräume zu schaffen und Gebrauchs-
gegenstände in die Hand zu geben, die ihm Behaglichkeit und ästhetische
Besitjesfreudigkeit verschaffen, Räume und Dinge, deren künstlerische
Gestaltung durch das Bedürfnis dieses modernen deutschen Menschen
nach Harmonie zwischen Zweck und Form, nach Ordnung, Sauberkeit und
bequemer Handlichkeit genügten und die Schönheitswerte des Materials
ohne Vergewaltigung ebenso wie die handwerkliche Tüchtigkeit zur
Geltung brachten.

Im Herbst desselben Jahres erlitt Ernst Ludwigs Künstlerkolonie durch Meister
Olbrichs plößlichen Tod ihren bisher schwersten Schlag. Aber der Gedanke, der
schon so viele fruchtbringende Taten gewirkt hatte, war nun nicht mehr an die einzelne
künstlerische Persönlichkeit auf Leben und Sterben gebunden. Der Kunstwille des
Landesherrn hatte die Darmstädter Kunst ins Leben gerufen und weder der Wechsel
in den Personen der Kolonisten, noch das Mißglücken hoffnungsvoll begonnener Unter-
nehmungen — wie die der Lehranstalt für angewandte Kunst, der Großh. keramischen
Anstalt und der Edelglas-Manufaktur - konnte der Blüte des hessischen Kunstgewerbes
mehr großen Schaden tun. Die Neuberufungen, die der Großherzog für seine Kolonie
ergehen ließ, bewiesen, daß er selbst keineswegs entmutigt und seine Lust an kecken
Wagestücken durch die gelegentlichen Mißerfolge nicht gedämpft war. Zu den treu
 
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