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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Schwarz, Karl: Lovis Corinth, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0020

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Lovis Corinth—Berlin.

LOVIS CORINTH—BERLIN.

GEMÄLDE »PIETA« 1890.

von jeher verhaßt, Wissenschaft und Doktrine
lagen ihm stets fern. Wer nicht die große Liebe
zum Leben besitzt, der kann ihm nicht mit der
ganzen Glut des Herzens angehören und dienen.
Corinth aber besitzt diese große, allumfassende
Liebe und dokumentiert den heißen Pulsschlag
seiner Adern mit jedem Pinselstrich.

Wollte man also seiner Kunst von denselben
Gesichtspunkten aus gerecht zu werden suchen,
die für die meisten Künstler gelten, so würde
man einem hoffnungslosen Beginnen gegenüber-
stehen. Man darf Corinth nicht in den Rahmen
seiner Genossen einspannen, sondern muß ihn
herausschälen und, seinem Beispiele folgend,
unbekümmert um das Gelächter und Gezeter
der belustigten oder sich verletzt wähnenden
Menge, die rein künstlerischen Potenzen zu er-
gründen suchen, die sich hinter all dem Bizarren,
derb Sinnlichen, unheimlich dramatisch Ge-
steigerten in seinen Werken verbergen.

Eine merkwürdige Mischung von bauernhaf ter
Urwüchsigkeit, religiöser Inbrunst, phantasti-
scher Schwungkraft und lyrischer Zartheit spru-
delt da zusammen. Aber nichts Gesuchtes und
Gewolltes ist darin, sondern alles ist unge-
schminkte Aussprache mit dem Leben. Er hat
es in allen Schattierungen kennen gelernt und
in seinen Tiefen und Höhen ausgekostet, es
genossen, wie und wo es sich ihm bot. Ja,
Corinth ist ein Künstler im Genießen; der Genuß
ist das Leitmotiv seines Lebens und Schaffens.

Er grübelt nicht lange über ein Thema nach,
sondern packt es mit sinnlicher Wollust an,
stürzt sich mit der ganzen Kraft darauf und
ringt mit ihm um den Besitz wie der keck
wagende Streiter. Hier liegt das Geheimnis
seines Erfolges; denn diese frische, unerhört
starke physische Kraft hat etwas Belebendes,
Bejahendes. Sein Temperament führt ihm den
Pinsel. Die Sinne sind in ihm stärker als der
 
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