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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Volbehr, Theodor: "Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgepasst das Neue"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0049

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brechen wider das keimende Leben der Kunst
vorläge; und er würde wohl Miles darauf hin-
gewiesen haben, daß es ein Charakteristikon
kulturloser Völker sei, die Alten auszusetzen,
Greise mit Knüppeln totzuschlagen.

Man kann es zur Not verstehen, wenn ein
Mitglied der Pariser Akademie, Bazin, aus dem
wilden Haß seines Herzens heraus verlangt,
daß die deutsche Kultur der Vergangenheit so
gründlich vernichtet werde, „daß sie niemals
in dieser Welt wieder aufgerichtet werden
kann". Denn Bazin sieht in der deutschen
Kultur den gefährlichen Feind seines Volkes.
Und da er den Baum zu Fall bringen will, ist
es logisch, wenn er trachtet, die Wurzeln ab-
zuschneiden. Wenn aber ein Deutscher mit
der Axt in diese Wurzeln schlägt, um jungen
Pflänzlein an der gleichenStelle Platz zu schaffen,
dann muß man doch fragen: gibt es denn keinen
fruchtbaren Boden zur Rechten oder zur Linken?
Ist es notwendig, Wälder niederzuschlagen,
wenn man Schonungen anlegen will?

Marinetti, der Führer der italienischen Futu-
risten, hat seinen Landsleuten den Vorschlag
gemacht, alle Kunstschätze Italiens zu ver-
kaufen, um aus dem Erlös die Kosten der wei-
teren Kriegsführung zu decken. Er hat sogar
ausgerechnet, daß die Auktion des künstler-
lschen Inhalts der Uffizien und des Pitti-Palastes
«lein eine Milliarde bringen würde. Man fühlt
le Nichtachtung der italienischen Futuristen
Segen jede Kunst der Vergangenheit aus dem
Vorschlag. Aber immerhin: Marinetti will die
alten Kulturzeugen nur verkaufen, nicht ver-
nichten. Miles aber steht auf dem Standpunkte:
was das Unwetter des Krieges nicht zerschmet-
tert hat, das soll man nun selber auf den Scheiter-
haufen tragen. Wer das nicht will, der zeigt
eine kleine Seele! „Dieses ängstliche Bewahren
und Erhalten hat eure Seelen klein gemacht!"
Also haben die deutschen Seelen sich in dem

Aufschwung der Augusttage 1914 als klein er-
wiesen? Und das Tun der Deutschen in den
eroberten Gebieten zeugt von einer kleinen
Seele? Es ist eine wunderliche Sache: da
schickt — um nur eines zu erwähnen — das
kaiserlich deutsche Generalgouvernement in
Belgien eine wundervolle, reich illustrierte Ar-
beit über „die Klosterbauten der Cisterzienser
in Belgien", von deutschen Gelehrten und Ar-
chitekten mit Bienenfleiß zusammengestellt, in
die Welt und sagt damit stillschweigend: „seht,
wir senken das noch vom Blute dampfende
Schwert ehrfurchtsvoll vor der Kunst der Ver-
gangenheit" ; und gleichzeitig liegt ein deutscher
Idealist im Schützengraben und schreibt einen
Brief in die Heimat mit dem kecken Ruf: „wir
haben die Ehrfurcht vor dem Alten verloren!
Werft auch Ihr den alten Plunder weg!" Wahr-
lich, eine wunderliche Sache! Aber plötzlich
fällt einem ein, daß es einmal in deutschen
Landen eine seltsame Abart der Ehrfurcht gab,
eine Ehrfurcht, die Fälscherkünste trieb, die
aus Begeisterung für das Alte dem Neuen die
Allüren des Alten gab, die junge Kunst zer-
schlug, um an ihre Stelle eine imitierte alte
Kunst zu setzen. Ja, wenn Miles diese Ehr-
furcht gemeint hätte, dann hätte er recht ge-
habt. Aber gibt es denn im zwanzigsten Jahr-
hundert noch irgendwo diese Art von Konser-
vatoren? Im letzten Drittel des 19. Jahr-
hunderts ward reichlich auf diesem Gebiete
gesündigt. In mehr als einer schönen Stadt
Deutschlands gibt es Türme, die wie ragende
Wahrzeichen längst entschwundener Jahrhun-
derte den Wanderer von Ferne grüßen. Wenn
der aber einen kundigen Thebaner fragt, dann
erfährt er, daß das Richtefest der oberen
zwei Drittel des stattlichen Turmes vor einem
Menschenalter stattfand! Und in manchen Mu-
seen hängen Bilder des 15. und des 16. Jahrhun-
derts, die vor einigen Jahrzehnten nur noch zu

XXI Oktober 1917. 4.:.
 
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