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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Strnad, Oskar: Einiges Theoretische zur Raumgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0064

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Einiges Theoretische zur Raumgestaltung.

eine Verbindung im Bogen, so geht das Auge
unwillkürlich den Raum wert im Bogen ab, es
geht hinauf und herunter, noch einmal hinauf
und herunter und so fort, bis es nach rückwärts
kommt. Oder denken Sie sich diese Verbin-
dung durch eine Horizontale, so geht das_Auge
ruhig die Länge durch und erhält immer nur
dort, wo sich die Vertikale mit der Horizon-
talen berührt, einen Moment einen Stillstand.
Das ist eine wichtige Stelle, die besonders be-
zeichnet werden muß, damit das Auge nicht
selbst etwas dazu zu tun braucht, so daß der
Raumeindruck dadurch ein sicherer und klarer
wird. Je weniger wir aus unserer Erfahrung
dazutun müssen, um Raum wahrzunehmen,
desto stärker und beruhigender ist das Raum-
gefühl. Diese Stellen, an welchen sich die Be-
wegung bricht, sich ändert, von einer Flächen-
vorstellung zu einer Tiefenanregung geht, ent-
sprechen gewissermaßen den Gelenken am
menschlichen Körper, die diesem die Möglich-
keit bieten, Bewegungen auszuführen. Be-
zeichnen wir sie daher kurzweg als Gelenke:
so treffen wir damit das, was man gewöhnlich
unter Kapitäl, unter Basis, unter Gesims ver-
steht. Mit feinem instinktiven Sinn hat man
erkannt, daß hier ein Wechsel vor sich geht,
der bezeichnet werden muß, und je delikater
diese Bezeichnung gestaltet ist, d. h. je zarter
diese Gelenke sind, desto größer, desto ele-
ganter und vornehmer wird der Gesamtein-
druck. Wie die Gelenke eines Bauern, einer
eleganten Dame, wie die Gelenke eines Ele-
fanten und einer Gazelle. Das Formen dieser
Gelenke, das Erkennen ihrer Wirkungsnotwen-
digkeit, ihrer Wirkungsmöglichkeit ist das per-
sönliche, eigenartige Gebiet des Raumkünstlers,
und es ist eine der schwierigsten und empfind-
lichsten Aufgaben.

Eine gute Raumbildung verlangt auch, daß
ich die Decke ebensowohl wie den Fußboden
in ihrer Größe abschätzen und ihre Beziehungen
und Verhältnisse erkennen kann. Je klarer die-
ses Verhältnis ist, desto klarer die Raumwir-
kung. Wenn Fußboden und Decke gleiche
Raumwirkung geben, so entsteht die Empfin-
dung der Behaglichkeit, des Wohlseins. Es
ist über mir nichts anderes, der Raum ist über
mir nicht größer, nicht weiter, nicht enger. Das
erste Gebot ist daher, unter allen Umständen
diese Begrenzungslinie, diesen Rahmen für Fuß-
boden und Decke klar zu machen. Je präziser,
je eleganter das gemacht wird, desto eleganter
und präziser die Rückwirkung; ganz wie beim
Rahmen eines Bildes. Und ebenso wie ein
Gegenstand, den ich auf den Fußboden stelle,
raumwirkend wird, wie der Baum auf der Wiese,

wie ein Brunnen im Hof, wie eine Statue auf
dem Platz, so kann auch ein Gegenstand, der
von der Decke hängt, raumwirkend werden.
Es gibt auch ganz eigentümliche Wirkungen,
wenn ein Gegenstand vom Fußboden bis zur
Decke reicht. Es gibt das eine unglaublich
menschliche Beziehung. Das Anbringen von
Raumwerten an der Decke ist zu allen Zeiten
üblich gewesen. Alle Holzdecken und Stuck-
decken gehören hierher.

Es ist ebenso wohl möglich Fußboden oder
Wand, wie die Decke als Mittel zu verwenden
um den Raumeindruck zu klären. Wie das ge-
macht wird, die Art der Entdeckung der Mög-
lichkeiten von Raumwerten, das ist die Eigen-
art der künstlerischen Persönlichkeit. Das ist
etwas, was außerhalb unseres Bewußtseins liegt,
das uns nicht willkürlich zur Verfügung steht.
Das kommt und vergeht und sich nicht fassen
und lehren läßt.

Ein Paar Möglichkeiten von Raumbildungen:
Einmal soll der Fußboden als Mittel verwendet
werden, z. B. ein kleiner viereckiger Hof, der
ganz geschlossen ist, von Mauern umgeben, die
ungefähr drei Meter hoch sind. Die Mauern
sind weiß. Der Fußboden soll mit weißen Plat-
ten belegt werden. Die einzigen Möglichkeiten
den Raum abzutasten, sind dann die Begren-
zungslinien, dort, wo die Mauern aufstehen und
die Linien am oberen Rande der Mauern, wo
der Himmel sichtbar wird.

Ist der Fußboden aus roten Steinen, so ist
der Raumeindruck klarer, denn die Begrenzung
wird rascher vom Auge gesehen. Stellt man
ein Paar Blumentöpfe auf, genau hintereinander,
um den Vorstellungsprozeß zu erleichtern, aber
so, daß man über sie hinwegsehen kann, so
sieht man von Topf zu Topf immer den Fuß-
boden und wir erhalten eine Raumwirkung des
Bodens. Denken Sie sich ein Schachbrettmuster
aus schwarzen und weißen Platten, die recht-
winkelig zueinander stehen, so, daß sie im Sinne
des Raumabtasten gelegt werden. Die Blumen-
töpfe stehen darauf. Da entsteht ein doppelter
Vorstellungsprozeß. Sie erhalten durch die
Blumentöpfe eine bestimmte Raumanregung
und durch das Schachbrettmuster wieder eine.
Wenn diese beiden Anregungen nicht einheit-
lich sind, so wird der Raumeindruck unklar
und geschwächt. Es müssen also die Maße der
Distanz, in welcher die Töpfe aufgestellt wer-
den, mit den Maßen des Pflasters übereinstim-
men. Aber auch die Töpfe bedeuten durch ihren
tatsächlichen Rauminhalt, den wir aus der Er-
fahrung leicht schätzen, eine bestimmte Größe,
also für uns eine bestimmte Raumvorstellung,
die möglicherweise nicht mit den Raumanreg-
 
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